Andreas Benl über "Die Macht der Mullahs"

Verschleierter Kulturalismus
Rezensionen zu: Christina von Braun / Bettina Mathes, Verschleierte Wirklichkeit sowie Thomas Maul, Die Macht der Mullahs 

Verschleierte Wirklichkeit. Die Frau, der Islam und der Westen von Christina von Braun und Bettina Mathes wird angekündigt als ein “Standardwerk” (Klappentext), welches die “Stellung der Frau im Islam und anderen Religionen” darstelle und dabei zeige, “daß sich in der Sichtweise auf die ‚andere‘ Welt mehr, als wir zugeben wollen, das Selbstverständnis des Westens offenbart”.
Das Werk offenbart auf jeden Fall auf schockierende Weise das Selbstverständnis der westlichen Kulturwissenschaften und angesichts der größtenteils begeisterten Rezensionen unfreiwillig einiges über das “Selbstverständnis des Westens” oder zumindest seiner medialen Interpretinnen in Deutschland.


Zunächst geht es scheinbar nur um eine verschrobene Kongruenz zwischen islamischen und westlichen Gesellschaften, was die Geschlechterordnung betrifft. Zwangsheirat, Ehrenmord und Genitalverstümmelung hätten einerseits wenig mit dem Islam zu tun. Andererseits sage ihre Thematisierung in Europa und den USA mehr über die westlichen Gesellschaften aus, als über den Islam selbst. Braun und Mathes wollen scheinbar “nur” darauf verweisen, “daß die Probleme, die wir an der Muslimin zu erkennen glauben, nicht nur mit dem Islam, sondern auch mit der westlichen, christlich geprägten Kultur zu tun haben”.
Doch in dem Moment, in dem sich die Frage stellt, was eigentlich mit der Aufrechnung “der Gewalt des westlichen voyeuristischen Blicks” gegen Gewaltpraktiken, deren islamischer Ursprung noch nicht einmal gesichert sei, für die Thematisierung misogyner Unterdrückung gewonnen sein soll, gehen Braun/Mathes einen Schritt weiter. Den postmodernen linguistic turn konsequent zu Ende führend, setzen sie mit ihrer Kulturgeschichte bei der Entstehung des griechischen Alphabets als entsinnlichender “Kastrationsmaschine” an. Das griechische Alphabet habe im Gegensatz zu den hebräischen und arabischen Konsonantenalphabeten die Sprache völlig erfasst und damit die Grundlage für abstraktes und logisches Denken einerseits, die Zerstörung oraler Überlieferung andererseits gelegt. Nachdem die Dialektik der Aufklärung – die Horkheimer und Adorno als Geschichte der Ambivalenz der Naturbeherrschung fassten – derart in die Sphäre der Gedanken und der Schriftlichkeit verlagert ist, lässt sich daraus problemlos eine Dichotomie von “westlichem” und “orientalischem” Denken und in der Folge sogar von “westlicher” und “orientalischer” Ökonomie und Politik ableiten. Auch wenn diese Gegenüberstellung mit allen möglichen politisch korrekten Einschränkungen versehen wird, kehrt doch dasselbe Muster in immer neuen Varianten wieder: Der Westen steht für die Entschleierung und Entblößung und damit für die Pornographisierung des weiblichen Körpers, der Islam für den Schutz vor der kapitalistischen Verwertung der Frau.
Die “westliche” Institution der Prostitution sei mehr als ein Geschäft, sie diene dem westlichen Mann zur Resubstanzialisierung des “leeren Signifikanten” Geld im käuflichen Frauenkörper. Dieser Praxis widersetze sich der Islam. Die mit großer Verve vorgetragene Anklage gegen Frauenhandel und den globalen Sextourismus stellt in den Augen von Braun/Mathes die Trumpfkarte ihrer kulturwissenschaftlichen Islam(ismus)-Apologie dar. Man werde sich schwer tun, “in den Reiseangeboten des Prostitutionstourismus Reiseziele im Iran, in Algerien, Syrien, Libyen, den Staaten des arabischen Golfes zu finden”. Daß der Orient “für den Prostitutionstourismus heute ein schwarzer Fleck” sei, ist zwar blühender Unsinn. In der Formulierung drückt sich aber bereits die Logik eines Kulturrelativismus aus, die kurz darauf mit brutaler Offenheit ausgesprochen wird. Denn auch im Orient gebe es natürlich Prostitution. “Aber sie ist entweder illegal und wird mit der Todesstrafe geahndet [...]. Oder sie unterliegt dem Gesetz der Kurz- oder ‚Genußehe‘ (Mut‘a-Ehe), die eine inner-muslimische Angelegenheit ist. Das heißt, der sexuelle Kommerz zwischen Orient und Okzident, die Einbeziehung der islamischen Länder in den westlichen Sextourismus funktionieren nicht. Ex Oriente nix.” Das bedeutet, daß es für Braun/Mathes vollkommen irrelevant ist, ob weibliche asiatische Hausangestellte in Saudi-Arabien ein sklavenähnliches Dasein fristen, ob im Iran die Todesstrafe an sexuell devianten “Volksfeinden” vollstreckt wird oder daß es natürlich auch einen Handel mit Frauen aus osteuropäischen Ländern im Orient gibt. Solange die Kulturgrenze nicht von West nach Ost überschritten wird, bleibt all dies eine “innermuslimische Angelegenheit”.
Jede Grenzverwischung muß deshalb bekämpft werden. Dies drückt sich in der Aversion von Braun und Mathes gegen säkulare Bewegungen und (historische oder aktuelle) staatliche Maßnahmen zur Zurückdrängung des religiösen Einflusses auf die Gesellschaft in Ländern mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung wie Ägypten, der Türkei oder dem vorislamistischen Iran aus. Vor allem aber in der Diffamierung jener Frauen, “die das westliche Frauenbild angenommen haben” und laut Braun/Mathes “mit ihrer Ablehnung des Kopftuchs gegen die patriarchalen Strukturen des Islam und für die Durchsetzung allgemeiner Frauenrechte kämpfen” und dadurch “als Komplizinnen eines männlich geprägten Entschleierungsdiskurses agieren”. In Wirklichkeit stören sie in der kulturalistischen Kulisse und drohen, allein mit ihrer Existenz die Phantasmen der Gender Studies zum Platzen zu bringen.
Über 400 Seiten Orientalismus dienen zu nichts anderem, als am Ende Necla Kelek, Ayaan Hirsi Ali, Seyran Ates und anderen “Unwissenschaftlichkeit” vorzuwerfen und sich in die Querfront jener einzureihen, die gewalttätige Reaktionen auf islamkritische Zumutungen vielleicht nicht billigen, aber doch ganz gut verstehen können.
Als Antipode des Buchs von Braun und Mathes lässt sich Die Macht der Mullahs von Thomas Maul begreifen. Der Text beginnt mit den Auseinandersetzungen, die sich in einem kulturwissenschaftlichen Seminar von Bettina Mathes mit dem Titel Kopftuch und Schleier an der Berliner Humboldt-Universität im Herbst 2005 ereigneten. In dem Seminar ging es – ebenso wenig wie in dem Buch von Mathes und Braun – “um das Kopftuch als Problem von Mädchen und Frauen, die dazu gezwungen werden, oder als Kampfmittel islamistischer oder islamisierter Männer und Frauen, sondern einzig um den ‚westlichen Blick‘ auf das Kopftuch, dessen Ominosität von vornherein festzustehen scheint”. Nachdem Maul zu Beginn einen kurzen Abriss über die Geschichte des Islam und der Entstehung des Islamismus als antisemitischer Bewegung im Nahen Osten liefert, geht es in seinem Buch hauptsächlich um den “konservativ-orthodoxen Alltagsislam” in Deutschland und Europa einerseits und um dessen linke Relativierung bzw. Verteidigung andererseits.
Laut Maul macht es keinen Sinn, eine strikte Trennung zwischen Islam und Islamismus vorzunehmen. Mag die Auslegung der Scharia für gläubige Muslime im Einzelnen umstritten sein, so gelte doch allgemein, “daß das islamische Gesetz als von Gott gemachtes über den von Menschen gemachten (wie etwa den bürgerlichen Gesetzen) steht”. Ein anderes Verhältnis zum Islam komme einer Relativierung des muslimischen Glaubens selbst gleich, da es den “Reformislam”, der eine historisierende Interpretation des Koran zulasse, nicht gebe.
Um einen solchen “reformierten” Islam geht es den multikulturalistischen Apologetinnen, die sich konsequent um jede Analyse der repressiven Rolle islamischer Gemeinschaftsideologie drücken, offensichtlich auch nicht. So paradox es klingt (und wie sich am Buch von Braun/Mathes pars pro toto zeigen lässt), es ist wohl gerade die als unüberwindlich wahrgenommene kulturelle Differenz, die sich in von Maul ausführlich beschriebenen barbarischen Ritualen manifestiert, die auf ein postmodernes Bedürfnis europäischer “AntirassistInnen” trifft. Dieses Bedürfnis thematisiert Thomas Maul im letzten Kapitel am Beispiel von Foucaults Begeisterung für die islamische Revolution im Iran. In der Parteinahme für Khomeini manifestiere sich eine “abstrakte Negation des bürgerlichen Rechts”. Foucault habe in der schiitischen Bewegung eine “Revolte um der Revolte willen” und damit die konsequenteste Verneinung der verhassten bürgerlich-aufklärerischen Herrschaft gesehen. Dieser Gegenüberstellung liegt laut Maul eine generelle Ignoranz gegenüber der “konsumtive[n] Funktion von freier und gleicher Rechtssubjektivität” und der Geschichte des bürgerlichen (Straf-)rechts zugrunde, die Foucaults Hauptwerke kennzeichne.
Mauls Polemik gegen Foucaults Rechtsnihilismus droht allerdings in eine ahistorische Überbewertung bürgerlicher Subjektivität umzuschlagen. Die Frage ist, ob die von Foucault konstatierte Ausrichtung der Subjekte an der Norm, die Maul verlacht als “Behauptung, daß die gesellschaftliche Bedeutung des Rechtlichen mit der Moderne abnehme” nicht einen wahren Kern in den historischen Resultaten der Geschichte der bürgerlichen Subjektivität und des Rechtsstaats trifft. Mit der Einschränkung, daß die von Foucault affirmierte Entindividualisierung nicht das andere der Norm ist, sondern ihre Zuspitzung: die individuelle, “selbstbestimmte” Ausrichtung der spätbürgerlichen Subjekte auf das autoritäre Gemeinwohl. Maul stößt auf dieses Dilemma, wenn er seinen Idealtypus des westlich-liberalen “kritischen Universalismus” gegen postmodernen und islamistischen (Kultur-)Relativismus in Stellung zu bringen versucht und mangels liberaler UniversalistInnen mit konservativen Christinnen kokettieren muß, die noch den Universalismus zur kulturellen Besonderheit stempeln. Daß diese als Unterstützerinnen von islamistischer Gewalt bedrohter Frauen gute Dienste leisten, darf allein schon angesichts der Ausbürgerung Ayaan Hirsi Alis durch ihre holländische Parteikollegin Verdonk stark bezweifelt werden. Es rettet die von islamischen und anderen Rackets Betroffenen kein höheres Wesen. Nicht die CDU, sondern der Zentralrat der Ex-Muslime hat in den deutschen Medien Ansätze einer breiteren Kritik des deutsch-europäischen Kulturrelativismus vorangebracht. An den bürgerlichen Staat zu stellende Forderungen sind im Wesentlichen negative: Ein Ende der Diskriminierung aufgrund “kultureller Herkunft” – und dazu gehört im Zweifelsfall natürlich auch die Forderung an den Staat, bei der Anwendung seines Gewaltmonopols gegenüber Gewalt im Namen des Islam keine Ausnahmen zu machen.

Aus: Phase 2. Zeitschrift gegen die Realität N° 24 (Juni 2007)