„Ich flehe dich an, lass mich ihn töten!“ - Notizen zum Grauen vom 7. Oktober

 

Zu den verstörendsten Aufnahmen des Materials zum Massaker vom 7. Oktober, das auch der Allgemeinheit zugänglich ist, gehört die Ermordung eines thailändischen Arbeiters durch palästinensische „Zivilisten“. Es handelt sich um eine 47-Sekunden-Filmsequenz vom Handy eines der Täter.

Die barbarische Tat

Schon die Tonspur erzählt von unfassbarer Barbarei, die Stimmen stammen von verschiedenen Männern, die sich um das am Boden auf dem Rücken liegende, blutende und das Bewusstsein verlierende Opfer gruppieren. Auszüge: „Möge die Geschichte bezeugen, dass dies der erste getötete Mensch ist, den ich je getötet habe“ – „Gib mir ein Messer, gib mir ein Messer“ – „Ich schwöre, ich bin derjenige, der ihn töten wird“ – „Ich, ich“ – „Ich flehe dich an, lass mich ihn töten“ – „Ich schwöre, ich werde ihm den Kopf abschlagen“ – „Ich, ich, ich flehe dich an, lass mich ihn töten“ – „Allahu Akbar“.

Jetzt schlägt einer der Männer das Opfer mit einem Spaten. Ein anderer ruft: „Gib mir, gib mir“. „Mach ein Foto davon, er ist ein Jude, mach ein Foto davon“, sagt der nächste Mann, bevor er zu acht Hieben mit dem Spaten auf den Hals des Opfers ansetzt und jeden Hieb mit „Allahu Akbar“-Ausrufen begleitet. Dann wirft er den Spaten aufs Opfer. „Lass die Geschichte Zeuge sein!“

Tatsächlich bezeugt die Sequenz exemplarisch eine historisch neue Dimension antisemitischen Mordens, Momente, in denen sich das islamistische vom nationalsozialistischen Vernichtungswerk unterscheidet.

Der „fröhliche Sadismus“

Das erste Moment ist der „fröhliche Sadismus“. Die Wendung wurde von Lord Weidenfeld geprägt. Der am 20. Januar 2016 im Alter von 96 Jahren verstorbene britische Journalist, Verleger und Diplomat österreichisch-jüdischer Herkunft war in den 1930ern vor den Nazis nach England geflohen. In einem seiner letzten Interviews – für Die Welt am Sonntag, 13.12.2015 („Im untersten Kreis der Hölle“) – sagte er:

„Die Nazis haben die Vernichtung ihrer Feinde, zuvörderst der Juden, als industrielle Maßnahme organisiert. Es war ein widerliches, kaltes Morden ohne große Emotionen. Die Bolschewisten haben bei den organisierten Hungerkatastrophen, mörderischen Umsiedlungen und Exekutionen ganz anonym Millionen umgebracht. Grauenvoll genug. Aber nun kommen diese Dschihadisten als fröhliche Sadisten und sagen der freiheitlichen Lebensform ebenfalls den Kampf an. Was tun sie? Sie köpfen und kastrieren ihre Opfer, sie schänden Frauen nach Belieben, kreuzigen die Menschen, verstümmeln sie systematisch – und das alles mit obszöner sexueller Freude. Das ist moralisch für mich die unterste Stufe des Menschseins.“

Was George Weidenfeld seinerzeit auf den IS münzte, trifft auch auf den 7. Oktober zu. Die obszöne sexuelle Freude, die beim Holocaust natürlich nicht gar keine Rolle spielte, aber eben auch nicht zentral war, ist wesentliches Moment des jihadistischen Grauens: Der Täter genießt die physische Nähe zum Opfer beim Blutbad, beim buchstäblichen Abschlachten.

Das Zurschaustellen

Das zweite Moment ist das Zurschaustellen der Tat. Die Mörder nehmen sich und ihre barbarischen Handlungen per Foto oder Video auf und verbreiten diese über die sozialen Medien. Damit lösen sie nicht nur Angst und Schrecken aus, quälen sie nicht nur die Angehörigen der Opfer, sie prahlen mit ihren Taten und machen Werbung für ihre Sache, um neue Anhänger und Mittäter zu rekrutieren. Auf dieses Moment machte kürzlich der Reporter Douglas Murray in einem viel diskutierten Interview aufmerksam – Felix Perrefort berichtete.

Auch darin unterscheiden sich die Islamisten von den historischen Nazis, die den Völkermord an den Juden vor der eigenen Bevölkerung und der Welt zu verbergen versuchten. Vielleicht weniger, weil die Nazis sich – wie Murray meinte – ihrer Taten schämten, während die Hamas-Terroristen und sich beteiligende Zivilisten schamlos agieren.

Es ist wohl eher so, dass die Nazis aufgrund ihrer christlichen und/oder bürgerlichen Sozialisierung wussten, dass sie eine Grenze, jedes Gewissen, übertraten. Das ist gemeint, wenn es heißt, dass der NS der Zivilisation im doppelten Wortsinn ent-sprungen ist. Da der „Orient“ dagegen von solcher christlich-bürgerlichen Zivilisierung (im Sinne Norbert Elias‘) weitgehend verschont blieb, ist die „enthemmtere“ Barbarei der Jihadisten, wenn überhaupt als Regression zu beschreiben, eine Regression von einer niedrigeren Stufe der Vergesellschaftung aus.

Archaik und Moderne

Die Nazis jedenfalls ersetzten den traditionellen Pogrom – zumindest der Tendenz nach – durch eine Bürokratisierung, Industrialisierung und Delegierung der Vernichtung, die sie sprachlich und örtlich tarnten, für die sie nur am Rande Sadisten einsetzten – unter Ausschluss der Bevölkerung, die wenig davon wissen und ausdrücklich nicht mitmachen sollte beim Morden.

Im perversen Selbstverständnis der nationalsozialistischen Elite war die Judenvernichtung auch eine Art Bürde, die man zum Wohle der Menschheit auf sich genommen hat, etwas, zu dem man sich durchringen, sich überwinden musste – ja, das Heroische bestand gerade in der Standhaftigkeit, mit der man das eigens in Gang gesetzte Grauen ertrug. (Deutlich wird das an Himmlers Posener Reden, im Stolz, bei dem, was man tun musste, „anständig geblieben zu sein“.)

Die Ideologie der Selbstüberwindung („großer Jihad“) gilt beim Jihadisten weniger dem Morden anderer, das man eben genießt und nicht erträgt, als dem Begehren des eigenen Todes unmittelbar im Suizid-Attentat oder mittelbar in der bewusst provozierten israelischen Reaktion.

„Propaganda der Tat“ und Kollaboration

Die Verbindung von Archaik und Moderne funktioniert bei den Islamisten also anders als bei den Nazis. Hamas kombiniert den klassischen Pogrom unter Beteiligung von „Zivilisten“ – ins total Bestialische gesteigert – mit modernster Technik: Cyber-Knowhow zur Überwindung der Grenzzäune, Smartphones, Bodycams und soziale Medien für ihre monströse Version einer „Propaganda der Tat“.

Man muss aus den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Nazis und Hamas nicht unbedingt wie Lord Weidenfeld im Welt-Interview schließen, dass die Jihadisten „schlimmer“ seien als die Nazis.

Entscheidend sollte für die Freunde des Westens etwas anderes sein: Zeugte die Ausrede des darum nicht minder falschen historischen Appeasements mit den Nazis, man habe sich das Ausmaß des Grauens einfach nicht vorstellen können, wenigstens noch von so etwas wie naiver Zivilisationsgläubigkeit, scheint heutiges Appeasement mit dem Islamismus Ausdruck von Zivilisationsmüdigkeit zu sein. Mehr noch: Da Hamas und Mitmacher (ebenso wie IS) den antisemitischen Blutrausch öffentlich zelebrieren, wird jedes Appeasement (jede Behinderung des israelischen Militärs) durch Mitwissen zu einem Akt der Kollaboration. 

Berlin, 25.11.2023 

[Nachtrag (02.12.23): Wenn von "sexuellem Sadismus" die Rede ist, muss im Fall des Massakers vom 7. Oktober auch auf das systematische, besonders grausame Vergewaltigen, Martern und Morden von Mädchen und Frauen eingegangen werden: https://www.thomasmaul.de/2023/12/was-die-antisemitischen-bestien-am-7.html]