Heuchelei muss sein

Wie zuvor schon Shakespeares "Hamlet", wurde dem Klassiker mit allerlei feinem Werkzeug zuleibe gerückt und von Autor und Regisseur Thomas Maul kraftvoll in die Gegenwart gehievt.
SAALBAU NEUKÖLLN Molière im Jahrhundert der Menschenfeinde
Berliner Zeitung, vom 31.10.2008:


Als zweites Opfer seiner Klassikerreihe hat sich das Schauspiel Neukölln Molières fast 350 Jahre alte Komödie "Der Menschenfeind" ausgewählt. Wie zuvor schon Shakespeares "Hamlet", wurde dem Klassiker mit allerlei feinem Werkzeug zuleibe gerückt und von Autor und Regisseur Thomas Maul kraftvoll in die Gegenwart gehievt. Dabei bleibt die Grundkonstellation natürlich gleich: Umgeben von angepassten, verlogenen oder einfach dummen und eingebildeten Zeitgenossen, behauptet der Idealist und "Menschenfeind" Alceste, ohne Heuchelei leben zu können und eckt mit seinem kompromisslosen Verhalten überall an. Bei Molière setzt sich das Personal des Stücks aus schleimigen Höflingen zusammen, die auf gute Manieren achten und deshalb nichts mit Alcestes rücksichtsloser Ehrlichkeit anfangen können, weil diese gegen die guten Sitten verstößt. In der Fassung von Thomas Maul jedoch sind die guten oder schlechten Sitten schon lange nicht mehr Gegenstand von Aufregung, sondern rettungslos in der Vergangenheit versunken. Hier geht es nicht mehr um Umgangsformen mit Anstand und Moral, stattdessen zählen allein die Siege im allgemeinen Krieg um Aufmerksamkeit. Die Kampflinien verlaufen nicht mehr entlang der Klassengrenzen zwischen verlogenen Aristokraten und aufstrebender Bourgeoisie, sondern verbleiben innerhalb eines hegemonialen kulturellen Lumpenproletariats, das sich seiner Existenz nur in Form gepixelter Wiedergänger unzähliger Bildschirmbilder versichern kann. So entpuppt sich die vermeintliche Authentizität Alcestes im Zeitalter der öffentlichen Selbstentblößung via Fernseher und Internet auch nur als einer von vielen Wegen, die eigene Sucht nach öffentlicher Beachtung zu befriedigen. Denn wer meint, er könne am Ende behaupten, "bei dem vielen Blödsinn, den ich heute Abend gesehen habe, glaube ich nicht, dass ich dazu gehöre", der hat schon wieder verpasst, wie sehr auch der provozierende Besserwisser zum Schmiermittel der medialen Realität gehört. Fragen Sie mal Herrn Reich-Ranicki.

Menschenfeinde nach Molières "Der Menschenfeind", bearbeitet von Thomas Maul. Regie: Thomas Maul. Mit Paul-Alexander Aubin, Christina Hagenah, Alexander Haugg, Thorsten Junge, Heinz-Jürgen Müller, Inka Pabst, Dirk Oskar Plate, Manfred Wilhelm. PREMIERE am 26. November um 20 Uhr. Weitere Vorstellungen am 28. & 29. November, 5., 6., 19. & 20. Dezember, jeweils um 20 Uhr, sowie am 30. November, 7. & 14. Dezember, jeweils um 17 Uhr. Saalbau Neukölln Karl-Marx-Straße 141, 12043 Berlin Kartentelefon: (030) 68 09 37 79