Ort der Einfalt (Gruppe Morgenthau)



In einer mittelhessischen Kreisstadt, deren Hausbesitzer qua grüner Gesetzgebung zum Einbau einer solarthermischen Anlage verpflichtet sind, und deren Stadtkern eine Universität ziert, deren geisteswissenschaftliche Abteilung Gesinnung lehrt und Gesinnungssuchende  anzieht, gibt es für den politischen Abenteuerdrang junger Menschen linken Glaubens ganz viel Platz. Bunt, friedlich und weltverschlossen lässt es sich leben und studieren in Marburg an der Lahn, wo die durch Stuttgart 21 berühmt gewordene kollektive Wutbürgerstimmung sich längst als ökologisch-alternativer Way of Life chronifiziert hat. Man kennt sich, mag sich und steht auf linke Politik. 



Und wie überall, wo sich eingeschworene Gemeinschaften in trauter Eintracht eingerichtet haben, trügt der Frieden. Eine Mischung aus Angst und Wollust angesichts des Unheils in der Welt beherrscht die Friedliebenden. Neben Kapitalismus, Atomtod und Naziaufmärschen, die als Katastrophen auf Dauer abonniert sind, und zu deren Abwendung man in kürzer werdenden Abständen durch die Gemeinde zieht, fürchtet man Auswärtige, die sich erdreisten, den linken Konsens in Frage zu stellen. In solchen Fällen reagiert man genauso garstig wie der Dorfjunge, der es nicht erträgt, wenn ein Fremder ausgelassen auf seiner Kirmes tanzt. Nur realisiert der linksdeutsche Heimat- und Ideologieschützer seine Gewaltstreiche mit Vorsatz.
So ist es der Gruppe D.I.S.S.I.D.E.N.T. und Konsorten durch politisches Stalking gelungen, eine Veranstaltung mit Thomas Maul zum Geschlechterverhältnis im Islam zunächst in Verruf zu bringen und schließlich am 27.6.2011 zu sprengen. Teil eins der Heimatschutzmaßnahme bestand in der Verleumdung des Referenten und der  Einschüchterung der Organisatoren. Die linke Fachschaft, die Thomas Maul im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Islam, Islamismus und die Linke“ eingeladen hatte, bekam daraufhin kalte Füße, stieg aus und sagte die Veranstaltung ab. Einzelne Personen aus dem Vorbereitungskreis haben sich indes vom durchschaubaren Szeneterror nicht einschüchtern  lassen und die Verantwortung für die Veranstaltung übernommen. Dennoch ist es der Szene am Abend des Vortrags gelungen, die Veranstaltung durch Türblockaden, Gekreische und Belästigung der Besucher sowie des Referenten zu unterbinden. Die etwa vierzig Anhänger der direkten Demokratie, denen es offensichtlich Freude bereitete, der Enthemmung freien Lauf zu lassen und Volkes Wille zu exekutieren, waren in ihrer Mehrheit nicht altgediente Straßenkämpfer in Autonomen-Tracht, sondern junge Studentinnen, die glauben, dass das penibel wahrgenommene Recht auf saloppe Kleidung und Frisurverzicht eine besonders intensive Form des Feminismus darstelle. Im Fanatismus, der in der autoritären Rachelust der Marburger Antisexistinnen an diesem Abend manifest wurde, steckt nicht nur jede Menge Unbehagen an der selbst verordneten Freudlosigkeit, sondern auch der Zweifel an der Aktualität des politischen Auftrags. Denn die Krise des  Feminismus ist allgegenwärtig: Der ökonomische Prozess trägt unendlich mehr zur Gleichheit der Geschlechter bei als der genitalzonenfixierte Karneval der Identitäten, den linke Frauengruppen in ihren sozialen Reservaten veranstalten. In Zeiten des Gender Mainstreaming sind ihre Beschäftigungsmaßnahmen zu genauso sinnentleerten und konformistischen Ritualen verkommen wie die letzten Gefechte ehrenamtlicher Antifaschisten im Zeitalter des Staatsantifaschismus. Das autonome Gendertraining vollzieht in seinen Übungseinheiten gegen Sexualität, Sinnlichkeit und Geschlechterdifferenz nur das, was zum Zweck marktkompatibler Flexibilität und besserer Teamfähigkeit ohnehin angesagt ist. Überhaupt besteht das Drama des unbegabten Feminismus seit jeher darin, dass er zu viel mehr als zur Berufsopfer-Bewegung und läppischen Übernahme schlechter und vormals männlicher Gewohnheiten nicht taugt.
Dass linksradikale Frauen gerade dort Zirkus machen, wo ein Referent dazu einlädt, eine explizite Kritik des islamischen Antifeminismus zu entwickeln, zeigt an, dass es ihnen mitnichten um die Kritik religiös legitimierter patriarchalischer Gewalt geht. In dem in investigativem Schülerzeitungsdeutsch verfassten Flugblatt, das die präpubertäre Überschrift „Die Bockwurstparty ist vorbei“ (1) trägt und selbst bei höflichster Zurückhaltung die Frage erzwingt, wie viel Penisneid hier wohl mitschwingt, geht es vor allem darum, dass Thomas Maul die falschen Leute kenne und bediene und in der falschen Zeitschrift, nämlich der Bahamas, publiziere. Weil man im Marburger Studentenmilieu zudem mit Begriffen und Zitaten auf Kriegsfuß steht und parteimäßig organisiertes Assoziieren ein Garant dafür ist, dass mehr als Denunzieren nicht drin ist, verzichtet man darauf, die eigenen Vorwürfe zu belegen. Dass Thomas Maul den in Bielefeld amtlich gemessenen „antimuslimischen Rassismus“ schüre, wenn er „anhand einer sturen und wortwörtlichen Zitierung des Koran und anderer mittelalterlicher Quellen einen angeblich nicht zu überbrückenden Unterschied zwischen der „europäisch-abendländischen“ und der „islamischen Kultur“ zu konstruieren“ suche, bedarf anscheinend keines Beweises.
Vermutlich gibt es keinen Grund, Linksradikale mit  Hang zur faschistischen Intervention großzureden. Die einzigen Orte, in denen sie mitreden und mitbestimmen dürfen, sind besetzte Häuser, Szenejugendzentren und Hochschulen mit linker Kulturpflege. Das Problem in Marburg sind folglich nicht die vierzig Spinnerinnen, das Problem ist die sehr deutsche Harmonie dieser Öko-Uni-Stadt, die am besagten Abend auch von Universitätskanzler Friedhelm Nonne in Ehren gehalten wurde als er darauf verzichtete, von seinem Hausrecht Gebrauch zu machen und dadurch demonstrierte, dass ihm die Befriedung der Mehrheit ein wichtigeres Anliegen ist als die Verteidigung rechtsstaatlicher Mindeststandards.
Inmitten der pöbelnden und johlenden Frauen-Lesben-Gangs herumstehend, quittierte er Hinweise darauf, dass sein Appeasement dafür sorge, dass eine genehmigte Veranstaltung von einem autoritären Mob verhindert werde, mit demonstrativem Desinteresse und der Auskunft, dass es unverhältnismäßig sei, eine Entscheidung gegen die Mehrheit zu treffen. Was diesem Mann des Friedens, neben den verschwitzten Achselhaaren einer wild gewordenen und nah an ihn herantretenden Genderaktivistin, missfiel, waren nicht die Ausschreitungen, sondern die kritischen Nachfragen einiger Leute, die gekommen waren, um Thomas Mauls Vortrag zu hören.
Zum Problemkreis zählt ferner, dass es eine linke Fachschaft gibt, in der besonders engagierte Studenten ihre Probejahre für den lebenslangen Beruf des mittelschichtigen Mitmachers absolvieren. Die Linke Fachschaft 03 ist nur scheinbar der Fackelträger der Aufklärung in der Marburger Provinz. Das Semesterprojekt Islamkritik für gute Menschen mag gut gemeint gewesen sein, durchdacht war es nicht, was schon am Titel „Islam, Islamismus und die Linke“ unschwer zu erkennen ist. Es war der missglückte Versuch, das Thema Islamkritik für „die Linke“ verwertbar zu machen, wodurch Kritik zu genau der Gesinnungsfrage wird, welche die dissidenten Genossen praktisch beantwortet haben. Aus der Sicht derjenigen Fachschaftler, denen es um nichts als Identität geht, derjenigen also, die in der Fachschaft die Mehrheit haben und verantwortlich dafür sind, dass die Veranstaltung abgesagt wurde, dürfte die Einladung von Thomas Maul aus heutiger Sicht ein peinlicher Fehler gewesen sein. Hätte man auf ihn verzichtet, so wäre die Veranstaltungsreihe störungsfrei über die Bühne gegangen. Wer an der Uni etwas werden will, der hat es bei Strafe außeruniversitärer Lohnarbeit zu unterlassen, den Islam, seine Anhänger und deren Freunde so präzise zu kritisieren, wie Thomas Maul es seit Jahren tut, und statt dessen die kritischen Sonderschichten, die er für das zielgenauere Vorankommen einlegen muss, in poststrukturalistischen Jargon zu kleiden, was nichts anderes heißt, als Banales dick aufzutragen und dabei nicht die Gefühle der Konkurrenten zu verletzen. Zumindest diese Lektion dürften die Beteiligten gelernt haben: Unitaugliche Beiträge zum Islam und zum Islamismus gehen nur als „Das Reden über das Reden über den Islam“, zu dem Floris Biskamp im Rahmen der Veranstaltungsreihe geladen hatte.
Alle, die ohne die Nonnes, Biskamps und durchgegenderten Studentinnen zur Kritik des Islam und anderer Scheußlichkeiten beitragen wollen, sollen dies selbstverständlich auch in Marburg tun können. Fraglich ist, ob man das in den Bestallungen der deutschen Linken tun muss. Denn das Provozieren autochthoner Linker  – so erheiternd es hin und wieder sein mag – ist witzlos geworden; den Linken ist nicht mehr zu helfen. Man lasse sie in ihrem Mief alleine, das ist besser für alle Beteiligten. Wer Gutes will, der tut es auch ohne Nachhilfe ideologiekritischer Streetworker in linken Problemvierteln. Ob das Geschlechterverhältnis im Islam nun in den Räumen der Uni Marburg diskutiert und kritisiert wird oder im Hinterzimmer des Café Tante Erna ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass in Ruhe vorgetragen und diskutiert werden kann. Wenn die Linken auch dann noch Sturm laufen, wenn man ihre Reviere meidet, wird es künftig nötig sein, das Hausrecht sicherzustellen, die Türpolitik zu verbessern und die Kooperation mit der deutschen Polizei zu intensivieren. „Schlechtes Benehmen halten die Leute doch nur deswegen für eine Art Vorrecht, weil keiner ihnen aufs Maul haut.“ (Klaus Kinski)
Anmerkungen:
(1) Als Erfinder der auch als „Rote“ oder „rote Wurst“ bezeichneten Bockwurst gelten „der Berliner Gastwirt Robert Schol(t)z und der Berliner Fleischer Benjamin Löwenthal bzw. deren Gäste. Zur Auftaktsfeier des Wintersemesters 1889 bot der Gastwirt Scholz seinen Gästen im Gegensatz zur sonst üblichen groben Knacker/Knobländer die feinen Brühwürste des jüdischen Fleischers Löwenthal an, die nur aus Kalbs- und Rindsbrät bestanden. Dazu wurde dasTempelhofer Bock, ein regionales Bockbier angeboten. Angeblich wurde die (bis dahin unbekannte) Wurstsorte von den Gästen Bockwurst genannt. In der Folgezeit wurde sie zum typischen Imbiss in Berlin und Umgebung.“ (Wikipedia)

Auf: http://gruppemorgenthau.com/2011/07/