Der gute Harvey Weinstein – Apologie des unmoralischen Angebots

Da – wie man hört – vom Computerspielen gelangweilte Hausfrauen angefeuert von voyeuristischen Incels in den sozialen Medien aktuell wieder verstärkt ihre Fantasien über Müllmänner ausbreiten und sich das MeToo-Karussell derart weiterdreht, dass nun auch das Pseudo-„Weinstein-Opfer“ Asia Argento bezichtigt wird, einen Knaben sexuell missbraucht zu haben, sei nochmal an den zutiefst reaktionären Charakter der Weinstein-Kampagne erinnert.*

Nie ging es in der die MeToo-Bewegung auslösenden Weinstein-Affäre um irgendetwas anderes als den antifeministischen, patriarchal-puritanischen Rollback, der Prostitution derart den moralischen Prozess zu machen, dass die Prosituierte, der das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung als Ausdruck bürgerlicher Subjektivität damit verweigert wird, als unschuldiges, reines, heiliges „Opfer“ dasteht und der Freier des einvernehmlichen Verhältnisses als die Unschuld überwältigendes „Sexmonster“.

Dass der jüdische Name „Weinstein“ zwischen Oktober 2017 und Februar 2018 dabei weltweit zur Chiffre für den sexuellen Missbrauch von Frauen durch mächtige Männer avancierte und so zur Jagd auf „die Weinsteins“ geblasen wurde, darin hatte die Kampagne gegen den Filmproduzenten überdies durchgehend ihr antisemitisches Geschmäckle.


Zum Unterschied von Nötigung und unmoralischem Angebot 


Es galt allerorts als selbstverständlich, aus dem unmoralischen Angebot des Tausches „Ruhm und Reichtum gegen Sex“, das mindestens subtil schon immer und jenseits von Weinstein in Hollywood und ähnlichen Traumfabriken allgegenwärtig im Raum steht, einen Fall von Nötigung zu machen, die das Angebot auch dann nicht ist – weder juristisch noch moralisch –, wenn Weinstein unerfahrenen, jungen und noch nicht berühmten Schauspielerinnen gegenüber mit Nachdruck einfordert hat, was klügere und geduldigere Männer in seiner Position geschehen lassen können, weil es genug Schauspielerinnen gibt, die angesichts der Konkurrenzsituation von sich aus die entsprechende Initiative ergreifen – was nebenbei auch mehr narzisstischen Gewinn abwerfen dürfte, als das Elend, in das sich Weinstein anscheinend charakterbedingt anscheinend recht zwanghaft verstrickt hat.

Um es noch einmal unmissverständlich klarzustellen, schließlich bilden sich die Trampel auf dem roten Teppich und andere feministische Elefanten im Porzellanladen des Geschlechterverhältnisses das Gegenteil ein: Niemand hat in der jetzigen – und erstrecht in einer besseren – Gesellschaft ein angeborenes Recht oder einen Anspruch auf Ruhm und Reichtum. Die Ansage: „Wenn du nicht mir schläfst, füge ich dir Schaden zu“, ist versuchte sexuelle Nötigung. Die Ansage: „Wenn du nicht mir schläfst, gebe ich dir keine Million“, ist keine versuchte sexuelle Nötigung, sondern nur die negative Fassung des großzügigen Vorschlags, „wenn du mit mir schläfts, gebe ich dir eine Million“ – also unmoralisches Angebot, das anzunehmen, keiner gezwungen ist, und das auch bei nachträglicher Reue derer, die sich drauf eigelassen haben, nicht zum unmittelbaren oder strukturellen Zwang wird.

Weil aber alle verrückt geworden sind, konnten Frauen, die den eigenen Aussagen nach weder freiwilligen noch unfreiwilligen Sex mit Weinstein hatten, den „Weinstein-Opfern“ (und dabei deren Hauptmasse bildend) zugeschlagen und zu Zeugen der Anklage seines schlechten Charakters werden: schließlich machen schon unbeholfene und penetrante Nachstellungen ein frauenfeindliches „Sexmonster“, das vollkommen unabhängig von der Frage, ob es sich konkreter Sexualverbrechen (wie Vergewaltigung und Nötigung) juristisch erwiesen schuldig gemacht habe oder nicht, in den materiellen Ruin und die soziale Isolation zu treiben war.

Der großzügige Weinstein 


Abstrahiert man aber von den mutmaßlichen Sexualverbrechen und ihrer juristischen Verfolgung, und das hat eine Berichterstattung getan, die – abgesehen von der Lügnerin Rose McGowan – „Zeuginnen“ wie Gwyneth Paltrow, Thelma Hayek und Kate Beckinsale großen Platz einräumte, hätte es jeden halbwegs Aufgeklärten mindestens wundern müssen, warum eigentlich Weinstein von Vornherein so schlecht weggekommen ist. Anders ausgedrückt: Man muss den eigenen Körper für heilig halten und sich selber für eine ganz große Nummer, wenn man allen Ernstes meint, ein schlechtes Geschäft gemacht zu haben, hat man für eine kleine Nummer mit Weinstein im Gegenzug Ruhm und Reichtum eingestrichen.

Ein vergleichender Blick auf die Realität mag helfen. Für jede Durchschnittsprostituierte, die für ihre Dienstleistung nicht viel mehr als 200 € erhält, obwohl sie das Fach sexueller Gefälligkeit wahrscheinlich besser beherrscht als angehende Hollywood-Schauspielerinnen, wäre Weinstein ein ganz besonders großzügiger Freier und daher alles andere als schon allein deshalb unsympathisch. Das Gehalt eines durchschnittlich beschäftigten Schauspielers am Theater oder in Film und Fernsehen ermöglicht eine mittelständische Existenz von so um die 3000 EUR netto im Monat. Da das im Kapitalismus gar nicht schlecht dafür ist, dass hier Leute gleichzeitig auch noch ihren Traumberuf ausüben bzw. sich für Geld ständig selbstverwirklichen und neu entdecken können, wie es immer so schön heißt, ist das Missverhältnis zwischen Leuten, die Schauspieler werden wollen und Leuten, die auch einen Platz in einer staatlichen Schauspielschule ergattern, zwischen an staatlichen und privaten Schauspielschulen ausgebildeten Schauspielern und dann auch beschäftigten sowie gut bezahlten so groß wie in kaum einer anderen Branche.

Schon hier kann es zwangsläufig beim Kampf um die wenigen Plätze nicht nur um Talent und Können gehen. Schon hier gibt es: Anschleimen an Entscheider, Bluffen hinsichtlich der eigenen Fähigkeiten, Ellenbogen und Intrigen gegen Konkurrenten – wie übrigens auch bei Leuten, die akademische Karrieren anstreben (wo kürzlich bekannt wurde, welch schäbiges Verhalten einer schon für ein paar hundert Euro Vortragshonorar an den Tag zu legen bereit ist). Alles freilich nicht gerade schön und moralisch einwandfrei, aber irgendwie angesichts der objektiven Situation doch unvermeidlich. Und all dies wird deshalb in der Regel auch irgendwie hingenommen, ohne gegen Einzelpersonen groß aufs Moralisieren zu verfallen und Hexenjagden gegen sie zu veranstalten.

Sozialer Aufstieg nur ohne Sex 


Nur Sex bzw. der geschlechtliche Körper: der darf kategorisch keine Rolle spielen bei den Aktivitäten, die jenseits der eigenen Qualifikation entfaltet werden, um heißbegehrte und einzigartig bezahlte Jobs zu ergattern. Und auch der Entscheider darf sich von allem beeindrucken lassen, von Lügen und Ränkespielen, von Sympathie und Freundlichkeit, um aus einem Heer Gleichqualifizierter jemanden herauszupicken, außer von der Bereitschaft zu sexuellen Gefälligkeiten, dann wird man zum Monster. Und wenn es nicht mehr bloß um 3-4 Tausend EUR netto im Monat geht, sondern um Ruhm und Reichtum, darum, nie mehr arbeiten zu müssen, um ein materiell sorgenfreies Leben also, wenn daher noch mehr Gleichqualifizierte um noch weniger Stellen konkurrieren - dann wird die Moral ins Unermessliche gesteigert, dann hat jeder geschlechtslos zu agieren, weil es nur noch ums Können und die inneren Werte zu gehen hat.

Alle lieben den Mythos „vom Tellerwäscher zum Millionär“ – aber dieser Weg möge von Frauen nie wieder durch die Betten von Männern hindurch – oder die Sexindustrie generell – beschritten werden, erstrecht nicht hinter den Kulissen der kapitalistischen Traumfabrik Hollywood.

Es ist daher befremdlich, welche Naivität, welches Ressentiment oder Affekt gegen die sexuelle Selbstbestimmung, zu der ja gehören würde, sie freiwillig auch fürs berufliche Fortkommen einzusetzen, während der Weinstein-Affäre (und MeToo) auch unter Gesellschaftskritikern, gar selbsternannten Feministinnen, abgerufen werden konnte.

All das, während das schwedische Prostitutionsverbot der Idee nach nur den Freier verfolgt und nicht die Prostituierte, und die schwedische Verschärfung des Sexualstrafrechts darauf hinausläuft, dass einvernehmlicher Sex nur dann sicher davor ist, im Nachhinein als Vergewaltigung verurteilt zu werden, wenn die Beteiligten vorher Verträge abschließen und am besten ein Vertreter vom staatlichen Awareness-Team als Zeuge anwesend ist, um vor jedem Stellungswechsel die Zustimmung der Akteure abzufragen.

Die Blamage des realexistierenden Feminismus lautet, nicht zu erkennen, dass Weinstein-Affäre und MeToo-Kampagne einen Angriff darstellen: auf den Rechtsstaat, auf die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen samt deren bürgerlicher Subjektform und schließlich auf die nicht-reglementierte Sinnlichkeit zwischen den Geschlechtern und damit die Idee ihrer Versöhnung.

*: Der Text ist ein Auszug meines im Rahmen der Münchner Veranstaltung mit David Schneider zu MeToo vom Mai 2018 gehaltenen Vortrages.