Verglichen mit dem Queer-Feminismus – aber warum eigentlich sollte man die Messlatte so niedrig hängen – scheint Alice Schwarzer dank ihrer rücksichtslosen „Islamkritk“ wieder positiv aufzufallen, weshalb sie bis in liberale und ideologiekritische Kreise hinein vermehrt wohlwollend erwähnt und als mindestens partielle politische Bündnispartnerin in Betracht gezogen wird. Das hat sie jedoch nicht verdient. Auch und gerade nicht in Hinblick auf den Islam. Denn ihre in dieser Frage seit Jahrzehnten konsequente "Kritik" gilt vor allem deshalb dem MuselMAN(N), weil ihre pathologischen Fantasien über Heterosexualität und Heteromänner an ihm (und nur an ihm) wenigstens ein Stück Realitätsbezug für sich reklamieren können.
Schwarzers „feministische“ Islamkritik ist bloß konsequenter Ausdruck ihres kontinuierlich antiemanzipatorischen Frauenbildes, wonach die Frau immer nur als das unschuldige scheue Reh erscheint, das vor der allgegenwärtig drohenden Überwältigung durch den Penetrator beschützt werden muss.
Auf diesem Denkmodell beruht ihr grundlegender Hass auf Prostitution und Pornografie. Ein Hass, der zuweilen sich in konkrete Verfolgungswut transformiert. Im Fall Kachelmann, wo Schwarzer als vorverurteilende Hetzerin agierte, gab sie selbst nach dem Freispruch Kachelmanns und der als solche gerichtlich erwiesenen Falschbezichtigung seines „Opfers“ noch keine Ruhe, sondern rechtfertigte den eigenen Beschuldigungswahnsinn damit, dass die personifizierte Unmoral Kachelmann in seinem Privatleben unter Vorspiegelung falscher Tatsachen sexuelle Beziehungen mit mehreren Frauen gleichzeitig unterhalten habe, denen Schwarzer wiederum jede Handlungsautonomie absprach, indem sie diese zu genuinen Opfern des Patriachats und des in ihm als sexueller Ausbeuter sein Unwesen treibenden bösen Mannes erklärte.
Derart – spätestens seit MeToo – war eine in jeder Form zutiefst antiliberale Aktivistin wieder sexualkulturell rehabilitiert, die in den ausgehenden 1990ern und frühen 2000ern zunehmend ins Abseits gesellschaftlicher Wirkung geraten war, versinnbildlicht in ihrer Niederlage bei „Brain trifft Body - Alice Schwarzer versus Verona Feldbusch“ (2001).
Nicht nur darum erinnere ich mich gerne an diese kurze vergleichsweise geradezu antiideologische Zeitspanne, in der Vieles von dem, was Katharina Rutschky gegen „Emma und ihre Schwestern“ theoretisch ins Feld führte, Teil des gelebten Alltags war.
Junge heranwachsende Frauen diktierten ihren männlichen Gegenübern unaufgeregt und ressentimentfrei, d.h. mit der Lässigkeit des Selbstverständlichsten von der Welt, die minimalen Verhaltensanforderungen, um miteinander Spaß zu haben. Es waren selbstbewusste, lebenslustige und mit Blick auf das Geschlechterverhältnis optimistische Zierden ihres Geschlechts. Sie waren aufgewachsen mit Filmen wie Angeklagt (1988), in dem Jodie Foster eine Idee davon gab, dass sich das bürgerliche Recht am Ende als taugliches Mittel gegen sexuelle Gewalt und für ein Zurückdrängen der letzten Überreste patriarchaler rape culture erweisen könnte, vor allem aber mit Dirty Dancing (1987), der mit dem modernen Paartanz Liebe und Sinnlichkeit feierte und in ihm – wenn auch verkitscht – die Versöhnung der Geschlechter in Aussicht stellte.
Wiewohl handlungsmäßig in die 1960er rückprojiziert propagierte der Film im Sinne eines menschenfreundlich-naiven Sozialdemokratismus fortschrittliche Geschlechterrollen für Männer wie Frauen und denunzierte die überkommenen unerbittlich. Was an der wechselseitigen Annährung der Protagonisten des Hauptpaares (Johnny und Baby) seinerzeit als Ideologie kritisierbar war: die sozialromantische Überwindung des Klassengegensatzes in der Logik des Warentauschs – er empowert sie, indem er via Verführung – Tanz und Sinnlichkeit – aus dem Mädchen eine Frau macht, sie den bei aller Virilität unterwürfigen proletarischen Jungen zum um seinen gesellschaftlichen Platz kämpfenden Mann, indem sie ihm das „natürliche“ und risikofreudige Selbstbewusstsein einer Upperclass-Tochter vorlebt – wirkt heute, da narzisstische geschlechtsneutrale bis -diverse Körperpanzer einander immer weniger zu geben gewillt sind, nahezu utopisch.
Unter jungen, gesellschaftlich aufstrebenden, zweifellos emanzipierten Frauen – für die Zeit, die ich meine, waren etwa Charlotte Roche, Nora Tschirner und Sarah Kuttner gewissermaßen stilbildend – war Alice Schwarzer jedenfalls so out, wie sie es verdient hatte, ihr als Feminismus ausgegebener Männerhass galt unter Heten beiderlei Geschlechts als mindestens völlig überholt und nutzlos.
„Ich habe keine Lust, Frau Schwarzer um Erlaubnis zu fragen, bevor ich im Bett richtig loslege.“ Dieser Satz von Charlotte Roche aus einem Spiegel-Interview von 2008 gibt die allgemeine Stimmungslage der 1990er und frühen 2000er treffend wieder.
Männer, die heute Ende Dreißig bis Mitte Vierzig sind und quasi von den Roches, Tschirners und Kuttners oder Angeklagt und Dirty Dancing „erzogen“ wurden, haben für die gegenwärtig als Feministinnen auftretenden Wutbolzen, die sich selber klein machen, nur um desto aggressiver agieren zu können, notwendig wenig Verständnis – auch, weil gerade der „emanzipierte“ Mann von einem entsprechenden weiblichen Gegenüber weitaus Verlockenderes und im besten Sinne Bildendes zu erwarten hat als vom scheuen Reh Marke Schwarzer.
Heute, da die moderne Frau einer Errungenschaft gemäß gezwungen ist, auf dem Arbeitsmarkt gegen Männer und andere Frauen zu konkurrieren und dabei in vielen Bereichen protegiert wird wie historisch noch nie, fühlen sich einige der Jüngeren ständig „als Frau“ diskriminiert, wenn irgendetwas nicht so klappt, und inszenieren sich vor allem als Leidende – zum Befremden insbesondere älterer Frauen, die in Sachen Patriarchat ganz anderes durchgemacht und selbst darüber nicht gleich Geist, Esprit und Witz verloren haben.
Dass frau mit Männern – inzwischen muss man einschränkend sagen: mit westlichen – spielend fertig wird, dazu also weder irgendwelche Genderbeauftragten, Weinsteinjäger oder Heiko Maaß braucht, das hatte „damals“ eine erfrischend naive Selbstverständlichkeit, die man Leuten, die sie nicht erlebt und erfahren haben, heutzutage nur noch schwer vermitteln kann.
Vielleicht ist dieser Song von 1992 ein Anfang:
Thomas Maul (30.01.2019)