Wollt ihr die totale Gesundheit? Die schwedische Corona-Strategie auf dem Prüfstand

[Der folgende Artikel erschien in zwei Teilen am 12. und 13.10.2020 auf der "Achse des Guten": Eine Zwischenabrechnung (1), Der Elch im Raum (2)]

Am Umgang Schwedens mit der „Corona-Krise“ scheiden sich die Geister. Für die einen ist Schweden ohne einen die Volkswirtschaft schädigenden Lockdown vergleichsweise gut durchgekommen. Die anderen sehen ihren mehr oder weniger klammheimlichen Wunsch nach einem „Scheitern“ des „schwedischen Sonderwegs“ darin bestätigt, dass das Land mehr amtliche „Corona-Tote“ zu beklagen hat als seine wesentlich strikter auf die „pandemische Herausforderung“ reagierenden „nordischen Nachbarn“ (Norwegen, Finnland, Dänemark) oder im Unterschied zu Deutschland, wo es zwischen Januar und Juni 2020 keine Übersterblichkeit gab, mit rund 4.000 Übersterblichkeitstoten im selben Zeitraum den mit Abstand höchsten Wert seiner jüngeren Geschichte verzeichnet.

Derartige Diskussionen kranken von Vornherein daran, am Wesentlichen vorbeizureden und die entscheidenden Fragen zu verdrängen. Andernfalls wäre es selbstverständlich, die im Westen recht einzigartige schwedische „Strategie“ gegen ihre Kritiker zu verteidigen und gegen ihre Freunde zu kritisieren. Da es inzwischen zur „neuen Normalität“ gehört, für die Darlegung auch simpler Zusammenhänge etwas weiter ausholen zu müssen, seien der Thematik ein paar grundsätzliche Erwägungen vorangestellt.

I.

Der Ausnahmezustand

Die Verdrängung beginnt schon damit, dass „Lockdown“ einen Euphemismus für das darstellt, was sich in Deutschland seit spätestens Mitte März 2020 zugetragen hat: die volksgemeinschaftliche Herstellung und Aufrechterhaltung eines als Gesundheitsnotstand deklarierten Ausnahmezustands, der in Umfang und Intensität den in der Geschichte der Bundesrepublik massivsten Angriff auf Freiheitsrechte bedeutet. Mittels „Hausarrest“ für die Einwohner einiger Bundesländer und der allgemeinen Untersagung von Treffen mit haushaltsfremden Personen in der Öffentlichkeit wie in der eigenen Wohnung wurde denkbar rabiat in die private Lebensführung ausnahmslos aller Individuen hineinregiert.

Über die schon rechtlich fragwürdige Quarantänisierung als infiziert geltender PCR-Test-Positiver hinaus behandelt der Staat mit seinen allgemeinen Verordnungen zum social distancing jeden Bürger unabhängig von einer Einzelfallprüfung präventiv, und damit mehrheitlich Gesunde kontrafaktisch als krank bzw. Überträger einer gefährlichen Seuche; gesunde Bürger sind so genötigt, sich zu sich selbst und zueinander als zu symptomlos infizierten Infizierern ins Benehmen zu setzen: ein krank machendes Selbst- und Fremdverhältnis, das die Maskenpflicht seit den „Lockerungen“ von Ende April in den Körper schreibt. Die aufgenötigte Maske sorgt zudem nicht nur für die Sichtbarkeit einer unsichtbaren (angeblichen) Bedrohung, um ein Gefahrenbewusstsein permanent wach zu halten, sie ist Symbol des Bußgeldkatalogs und macht freiwilliges und erzwungenes Einverständnis mit den autoritären Maßnahmen tendenziell ununterscheidbar, hält den (gemäß Strategiepapier des Bundesinnenministeriums) an die Wand gemalten Tod durch Ersticken im Einzelnen lebendig, da die Einschränkung freien Atmens und der Anblick von Maskierten physisch wie psychisch beklemmend sind.

Derselbe Staat, der das „Kindeswohl“ bisher im Zweifel über das „Elternrecht auf Erziehung“ stellte, nötigt Eltern (und Lehrer) im Zuge der „Corona-Krise“ zur systematischen physischen wie psychischen Kindesmisshandlung. Nicht nur wurde den Kindern zuerst das Recht auf Bildung und elternfeie Zeit mit Freunden und Großeltern versagt, eine allgegenwärtige Lebensgefahr vorgelebt und schließlich auch die Maske aufgezwungen. Kontinuierlich ist ihnen von allen Seiten eingeredet worden, nicht erst bei Symptomen (was schon schlimm genug ist), sondern bereits als solche Virenschleudern, Lebensgefährder und für die eigenen (Groß-)Eltern potenzielle Todbringer zu sein, was ihre Neurotisierung oder gar Traumatisierung in Kauf nimmt.

Diese „Großeltern“ wiederum – genauer: die „Risikogruppe“ der Hochbetagten und zugleich chronisch Vorerkrankten – meinte der Staat adäquat zu schützen, indem er Alters- und Pflegeheime (bedingt auch Krankenhäuser) in Gefängnisse verwandelte und die Bewohner total entmündigte. Erst wird ein wochenlanges Besuchs- und auch Ausgehverbot durchgesetzt: eine klassische Disziplinarmaßnahme gegen das Fehlverhalten von Gefangenen. Die späteren „Lockerungen“ stehen im Zeichen von Auflagen, die erneut an Gefängnisse gemahnen: Glasscheiben (und teilweise Babyphone) trennen Besuchte und Besucher, abgestelltes Personal bewacht die Einhaltung von Berührungsverboten (in Sicht- und Hörnähe eigentlich privater und intimer Treffen).

Mit all dem ging ein totalitäres, von Politik und Medien geschürtes und von großen Bevölkerungsteilen willig vollstrecktes gesellschaftliches Klima einher, das auf der Suche nach Feindbildern jede grundlegende Kritik an den Maßnahmen und jeden alltagspraktischen zivilen Ungehorsam im doppelten Wortsinn unmöglich machen sollte. Kritiker und angeblich oder tatsächlich Corona-Partys feiernde Jugendliche wurden als unverantwortliche und zynische „Vitalisten“ beschimpft, denen die tödliche Bedrohung Alter und Schwacher egal sei. Hier lägen die „Hobby-Virologen“, „Verschwörungstheoretiker“ oder „Besserwisser“ nicht bloß falsch, als „Verharmloser“ oder „Corona-Leugner“ seien kritische Mediziner und Journalisten wie die schwarzen Schafe unter den insgesamt braven Jugendlichen unmittelbar schuld am Sterben vieler. Da wurden renitente „Maskenmuffel“, Maßnahmenverweigerer und gegen die Corona-Politik Demonstrierende für den Fall als Sündenböcke präsentiert, da der Staat mit der ständig angedrohten Verschärfung von Corona-Regeln (dem Anziehen der Zügel) ernst machte.

Es ist daher keineswegs übertrieben, wenn es in der August-Ausgabe der Zeitschrift Bahamas (Nr. 85) heißt, „dass die westlichen Gesellschaften ‚unter Corona‘ im Namen ihres gesundheitspolitischen Schutzauftrags in krasser Weise und nationenübergreifend mit ihren eigenen zivilisatorischen Kodizes gebrochen haben.“

Was ist eine „epidemische Lage nationaler Tragweite“?

Stellen wir den Bruch mit den „eigenen zivilisatorischen Kodizes“ in Fragen des (Verfassungs-)Rechts, der Moral und der Wissenschaft noch etwas schärfer heraus, um die Frage, ob und wie emphatisch Schweden von diesem Verdikt auszunehmen wäre, beantworten zu können.

Die legale „Krücke“ des rechtlichen Ausnahmezustandes bildeten in Deutschland Reformen des Infektionsschutzgesetzes und damit einhergehende Ermächtigungen zum Erlass von Grundrechte einschränkenden Verordnungen, die darin rückgebunden sind, dass das Parlament am 25. März eine „epidemische Lage nationaler Tragweite“ festgestellt hat, gemäß Infektionsschutzgesetz § 5, Absatz 1: „(1) 1 Der Deutsche Bundestag stellt eine epidemische Lage von nationaler Tragweite fest. 2 Der Deutsche Bundestag hebt die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite wieder auf, wenn die Voraussetzungen für ihre Feststellung nicht mehr vorliegen. 3 Die Aufhebung ist im Bundesgesetzblatt bekannt zu machen.“

Am 10. Juni hat ein „Gutachten“ des „wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages“ zu „verfassungsrechtlichen Fragestellungen“ dem Parlament bescheinigt, dass alle verordneten Maßnahmen zumindest unabhängig davon legal sind, ob die materiellen „Voraussetzungen“ einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ tatsächlich je bestanden haben oder noch bestehen, da etwaige außerpolitische „materielle Voraussetzungen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ nirgends bestimmt und definiert seien, juristisch daher einzig und allein die Feststellung oder Aufhebung per Parlamentsbeschluss maßgeblich ist.

Dass es verfassungsrechtlich legal sein sollte, die Ausrufung eines gesundheitspolitischen Notstandes, der Eingriffe in Grundrechte, die Gefährdung ökonomischer Einzelexistenzen und die Schädigung der Volkswirtschaft rechtfertigt, nicht einmal mehr an idealerweise objektive und empirisch überprüfbare Kriterien zu binden (Krankenhäuser sind entweder überlastet oder nicht, eine drohende Überlastung ist entweder wahrscheinlich oder unwahrscheinlich – jeweils unabhängig vom persönlichen Meinen und Dafürhalten), sondern ins subjektive (und sei es mehrheitliche) Empfinden von Politikern zu verlegen und damit zu einer Sache der Willkür zu machen, darf bezweifelt werden.

Die Frage, was eine „epidemische Lage nationaler Tragweite“ überhaupt ist, und anhand welcher Kriterien sie festzustellen wäre, kann im Rahmen einer bürgerlichen Demokratie doch juristisch schwerlich für egal oder zur Sache einer Gefühlslage erklärt werden. Aber auch das vom neuen Infektionsschutzgesetz zur obersten Seuchenbekämpfungsbehörde ernannte RKI hat in Expertenfunktion danach lediglich die Aufgabe, Maßnahmen zu empfehlen und zu koordinieren, nicht aber anhand definierter Kriterien den Gefährdungsgrad einer Infektion selbst zu bestimmen. Prinzipiell ist es bei entsprechenden Parlamentsmehrheiten (die ja häufig auch nur medial vermittelte gesellschaftliche Stimmungen widerspiegeln) damit rein rechtlich möglich, einen Schnupfen wie die Pest zu behandeln. Wie beim Klima-Thema ist die installierte „Expertokratie“ damit paradox: die Politik delegiert Verantwortung an die Wissenschaft, die ihrerseits immer weniger mit evidenzbasierter Forschung, dafür umso mehr mit Politik, Moral und Stimmung zu tun hat.

Monströse Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen

Denn auch unabhängig von seiner möglichen Verfassungswidrigkeit könnte das Missverhältnis zwischen dem Ausnahmezustand und seinem Anlass, zwischen der bekämpften „gefährlichen Seuche“ und dem tatsächlichen bzw. materiellen Bedrohungspotenzial des „neuartigen“ Erregers namens SARS-CoV-2 kaum monströser sein. (Immerhin Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen deuteten sich beispielsweise im Sondervotum eines Falls vor dem Berliner Verfassungsgericht vom 14. April und im Gutachten von Dietrich Murswiek für den Landtag von Rheinland-Pfalz vom 18. August an.)

Nicht einmal Drosten, das RKI, Merkel oder Spahn haben jemals dem „wissenschaftlichen Konsens“ widersprochen, dass die zu erwartende Infection Fatality Rate (IFR) – die auf die realen Infektionen bezogene Sterblichkeit für die Gesamtbevölkerung – im Falle Coronas den grippetypischen Werten von 0,1 bis 0,3 entsprechen würde, dass Corona (ebenfalls influenzaähnlich) für 90 bis 95 Prozent der Infizierten – und damit die Bevölkerung – keine Bedrohung, sondern eine vergleichsweise harmlose Infektion mit gar keinen, milden oder moderaten Symptomen darstellt. Wiewohl für einige Wenige mit einer ernsthaften Erkrankung im Sinne häuslicher mehrtätiger Bettlägerigkeit, gar mit einer Hospitalisierung (in New York City betraf dies Stand Ende April rund 2,5 Prozent der rund 20 Prozent infizierten Einwohner) zu rechnen war, die im Falle besonders kritischer Verläufe eine intensivmedizinische Behandlung, gar künstliche Beatmung bedeuten würde.

Ein statistisch und bevölkerungs- wie gesundheitspolitisch signifikantes bzw. relevantes Risiko für kritische Verläufe gar mit Todesfolge (das nicht mit einem Automatismus oder einer Garantie zu verwechseln ist) bestand wie bei der Grippe für eine klar eingrenzbare Gruppe: Ü65-Jährige mit chronischen Vorerkrankungen. Anders ausgedrückt: eine Infektionskrankheit, die unter Arbeitnehmern nach Angaben von Versicherungsgesellschaften nicht zu einem erhöhten Krankenstand geführt hat und in der Hochphase lediglich 0,68 Prozent aller Krankschreibungsgründe ausmachte, ist weder weitverbreitet gewesen noch im Mittel (anders als etwa Krebs) gefährlich, gar tödlich. Die Auslastung verfügbarer Intensivbetten betrug in Deutschland insgesamt nie mehr als 60–70 Prozent, der Anteil von Corona-Patienten in Spitze dabei lediglich 15 Prozent (den Sommer über bei 1 Prozent). 12.000 Intensivbetten stehen über der Normal-Kapazität zusätzlich für Corona-Patienten bereit.

Diese konsensuale Gefahreneinschätzung beruhte bis März auf Datensätzen aus China und vom Kreuzfahrtschiff Diamond Princess und sollte sich in den folgenden Monaten mit Daten aus Italien, Frankreich, Spanien, England und USA (siehe unten) immer wieder bestätigen: seien es über Antikörper-Tests vermittelte Studien zur realen Anzahl der Infizierten oder Daten zu den mit positivem Corona-PCR-Test Gestorbenen, deren Eigenschaften (Altersmedian über der durchschnittlichen Lebenserwartung, 85 Prozent Ü70 und multimorbid) dem ganz alltäglichen Sterbeprofil entsprachen.

Perfide pseudowissenschaftliche Horror-Prognosen

Die Panik, die zum Ausnahmezustand führte und dann verstärkt aus ihm folgte (bei derart strikten Maßnahmen müsse ja eine Katastrophe drohen), verdankte sich einer sensationslüsternen und bilderreichen 24/7 Berichterstattung über aus dem Zusammenhang gerissene Überforderungen von Krankenhäusern, dem relationslosen  Wuchern mit absoluten Zahlen von „Corona-Toten“, für die nicht zwischen einem Sterben an, durch oder mit Corona unterschieden wurde, aufgebauschten Meldungen zu Einzelfällen, haltlosen Spekulationen zu Langzeitfolgen und schließlich pseudowissenschaftlichen Horrorvisionen, die sich „Modulation von Szenarien“ nennen.

Die Perfidie, die Drosten, das RKI und Fergusen teils auf Basis der obigen Daten (!) – und daher pseudo-seriös – an den Tag legten bei Erstellung ihrer Prognosen von mehreren hunderttausend den europäischen Nationen je drohenden Toten, sollten die Staaten nicht per Ausnahmezustand beherzt durchgreifen, ist schwer zu überbieten und gehört rekonstruiert:

Laut Robert-Koch-Institut sterben während schwerer Grippewellen in Deutschland virenassoziiert 15.000 bis 30.000 Menschen, wobei sich geschätzt 5 bis 20 Prozent der Bevölkerung infiziert haben (siehe hier). So etwa kommt man auf eine Influenza-IFR von 0,1 bis 0,3 Prozent. Fragt man, warum eine Virenwelle ihren Peak nimmt und wieder verschwindet, bevor sie die ganze Bevölkerung erfasst hat (und stattdessen nur 5–20 Prozent), antwortet die klassische Epidemiologie mit naturgesetzartigen Faktoren: Virenerkrankungen sind selbstlimitierend (weil sich die Erkrankten via häuslicher Isolation aus dem Infektionsgeschehen nehmen und bei Wiedereintritt immun sind), saisonal (treten nur während bestimmter Monate gehäuft auf) und werden von Vornherein durch bestehende in Vorsaisons erworbene Vorimmunitäten (gar eine Herdenimmunität) in ihrer Verbreitung begrenzt. Das führt in Summe dazu, dass der Reproduktionsfaktor (R-Wert) zwar anfangs hoch ist, aber bald quasi von allein auf 1 bzw. unter 1 fällt. Dies führt im Übrigen bei einer gewissen Inkubationszeit und einer niedrigen Erkrankungs- und Hospitalisierungsrate in der Regel auch dazu, dass sich das Infektionsgeschehen in dem Moment, da man eine signifikante Zunahme von Erkrankungen in Arztpraxen oder Krankenhäusern bemerkt, bereits kurz vor oder nach seinem Höhepunkt befindet.

Wenig überraschend wurde diese Logik und damit die Unabhängigkeit des Infektionsverlaufs von den Staatsmaßnahmen in Studien vom 19. April und von Ende August weltweit belegt. Und zeigen ja auch die vom RKI selbst veröffentlichten Grafiken, dass R in Deutschland schon lange vor dem Lockdown am 23. März am Sinken und kurz vorher unter 1 war und seitdem ohne Bezug auf gesellschaftliche Ereignisse (wie Lockerungen, Maskenpflicht, lokale „Outbreaks“, Demonstrationen etc.) um 1 oszilliert.

Der „Trick“ der „Modulatoren von Szenarien“ bestand in der Konstruktion einer als möglich behaupteten Eventualität, der gemäß – obwohl nichts dafür sprach – davon ausgegangen wurde, dass Corona so „neuartig“ sein könnte, dass die herkömmlichen epidemiologischen Gesetze nicht mehr gelten und sich daher 80 Prozent der Bevölkerung während einer Welle infizieren würden. Allein das ergäbe bei einer niedrigen Letalität von 0,3 schon um 200.000 Tote. Sollte R zudem nicht von allein oder zu spät auf 1 fallen, ergäbe dies eine derart hohe Anzahl gleichzeitig kritisch Erkrankter, dass die Gesundheitssysteme überlastet und damit die Zahl der Toten weiter vervielfacht werden könnte. Diese wilden Spekulationen, die vor jeder Grippe-Welle mit „neuartigen“ Influenza-Viren abstrakt genauso legitim wären, für die wahrscheinlichsten und realistischsten Szenarien zu halten und darauf eine Politik zu gründen, das war nicht erst im Nachhinein irrtümlich, sondern von Anfang an grob fahrlässig und wider besseres Wissen.

Zwar wusste man im März noch weniger als heute, wie das Zusammenspiel von T-Zellen und verschiedenen Formen von Antikörpern bei der Abwehr von Corona durchs Immunsystem in allen Details genau funktioniert. Man kann aber nicht – wie beispielsweise in den Modellen des RKI – einerseits zugeben und selbst beim Modulieren voraussetzen, dass das Immunsystem von über 90 Prozent der Infizierten mit Corona klarkommt (und nichts anderes bedeutet es, wenn bei Infektion keine oder nur milde bis moderate Symptome auftreten) und andererseits ein Szenario, das jede Vorimmunität verleugnet, überhaupt entwerfen, geschweige denn zu einem möglichen oder gar wahrscheinlichen Verlauf in der Realität erklären. Man kann nicht symptomlos Infizierte (und damit präventiv jeden Bürger) als (weil potenziell unerkannten) gefährlichsten Seuchenüberträger mit Freiheitseinschränkungen traktieren, ohne einen einzigen positiven Beleg dafür, dass symptomlos Infizierte überhaupt oder nennenswert zur Verbreitung beitragen. Zumindest bis März 2020 war derartiges rechtlich, moralisch und wissenschaftlich undenkbar.

Kein Ausnahmezustand in Schweden

In Deutschland und Ländern wie Österreich, wo es zu keinem Zeitpunkt Hinweise auf eine mögliche Überlastung der Gesundheitssysteme gab, war es nicht mal erforderlich, über staatliche Eingriffe in den Epidemieverlauf überhaupt nachzudenken. Weltweit waren strikte Anti-Corona-Maßnahmen wie Wirtschaftslockdown, Ausgangssperre und Maskenpflicht angesichts des realen grippe-ähnlichen Gefährdungspotenzials überbordend unverhältnismäßig. Und Nationen wie z.B. Italien, Frankreich, Spanien, UK, Griechenland, Portugal, Argentinien und einige Städte sowie Bundesstaaten der USA sind beim Angriff auf die Freiheitsrechte der Bürger noch um einiges weitergegangen als Deutschland.

Gleichzeitig waren die Maßnahmen – vorhersehbar  – nicht einmal zielführend. Die offiziellen Kurven zum zeitlichen Infektions- und Sterbeverlauf folgen überall demselben Muster, herbeigeführte Abflachungen und Streckungen (Flatten the Curve) lassen sich nirgendwo feststellen. Viele Maßnahmen – insbesondere die zum Schutz der Alten und Schwachen ergriffenen, worauf zurückzukommen sein wird – waren (ebenfalls vorhersehbar) zudem dezidiert kontraproduktiv, so dass vernünftige statt panikgeleitete Abwägungen im Vorfeld eigentlich zum Schluss hätten führen müssen, dass sichere Folgeschäden einen (bestenfalls) ungewissen Nutzen der Maßnahmen überwiegen würden, und daher zu unterlassen gewesen wären (wobei von den verheerenden wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen westlicher Corona-Politik in den Ländern der sogenannten dritten Welt noch gar nicht die Rede ist).

Eben jene Unterlassung kann der schwedischen Strategie gar nicht hoch genug angerechnet werden. Dafür, dass die schwedische Regierung die Freiheit ihrer Bürger nicht mit unnötigen, nutzlosen und radikal unverhältnismäßigen Maßnahmen angegriffen und ihre Einkommen gefährdet hat, ist sie vorbehaltlos, unbedingt und empathisch gegen ihre Kritiker zu verteidigen. Hätte die schwedische Strategie darin bestanden, die ungefährdete Bevölkerung in Ruhe zu lassen und alle menschlichen und finanziellen Ressourcen, wenn man schon meint, außerordentlich handeln zu müssen, in einen vernünftigen Schutz der bedrohten Alten und Schwachen zu investieren (wie u.a. auf achgut von Gunter Frank mehrfach vorgeschlagen), und wäre solche Strategie erfolgreich umgesetzt worden, müsste das schwedische Vorgehen in Gänze – wie es die WHO zwischenzeitlich andeutete – „vorbildlich“ genannt werden. Doch so war es dann doch nicht.

Auch in Schweden unterlag das Leben der Bürger, der Arbeitnehmer und Schüler bestimmter Jahrgänge einigen Reglementierungen, und es herrschte unter ihnen ein neurotisches Klima übertriebener Achtsamkeit und gegenseitiger Betreuung. Dass die Regierung hier insgesamt und erfolgreich an Freiwilligkeit appellieren konnte und den Zwang restriktiver Verordnungen (mit angedrohten Bußgeldern) nicht nötig hatte, liegt auch an der in Schweden weitgehend verinnerlichten Ideologie des „Volksheims“, eine recht gruselige nationale Variante des Korporatismus. Zumal sich die Regierung am 7. April vom Parlament hat ermächtigen lassen, kurzfristig auch härtere Maßnahmen ergreifen zu können, ohne dies gesondert – anhand objektivierbarer Kriterien – begründen und abstimmen lassen zu müssen. Obwohl von innerschwedischen Kritikern und Panikmachern genau dazu wiederholt aufgefordert, hat das schwedische Volksheim der Versuchung bisher jedoch widerstanden.

II.

Aber wie steht es um den „vernünftigen Schutz der Schwachen und Alten“, also den Erfolg des schwedischen Sonderwegs in Hinblick auf die Anzahl der Corona-Toten bzw. die Werte der Übersterblichkeit?

Schauen wir zunächst, wie sich der als „Architekt der schwedischen Strategie“ inszenierte Epidemiologe in Staatsdiensten, Anders Tegnell, gegen Kritik an seinen Konzepten in einem Interview verteidigt hat (zusammengefasst in der Zeitschrift Aftonbladet vom 13.9.2020). Denn neben wichtigen Erkenntnissen zeigt sich darin auch, dass Tegnell viele falsche Vorannahmen mit seinen Gegnern teilt, und wie Drosten, Wieler, Merkel, Spahn äußerst fahrlässig überhaupt keinen Begriff davon hatte und hat, was unter einem „vernünftigen Schutz der Schwachen und Alten“ zu verstehen gewesen wäre.

Machbarkeitswahn auch in Schweden

Gegen den Vorwurf, Schweden hätte aufgrund seiner Laschheit mehr Tote zu beklagen als die rabiater vorgehenden Norweger, Finnen, Dänen, Deutschen und Österreicher, wendet Tegnell sinngemäß zu recht ein, dass Schweden von Anfang an – also vor jeder beabsichtigten staatlichen Einflussnahme – im Unterschied zu den genannten Nationen mit einem heftigen Infektionsgeschehen konfrontiert war und dennoch besser dasteht als Italien, Frankreich, Spanien, UK und Belgien, also, was die amtlichen „Corona-Toten“ sowie die Übersterblichkeit betrifft, ohne radikale Maßnahmen ähnliche Ergebnisse eingefahren hat wie die Schweiz oder die Niederlande.

Dieser Hinweis ist bedeutsam. Denn was die oben erwähnten Studien zum überall qualitativ und zeitlich identischen Muster der Kurvenverläufe in Sachen Infektion und Sterblichkeit ja nicht abbilden und thematisieren, sind die teils enormen quantitativen Differenzen: die Anzahl der Infizierten und Gestorbenen (absolut und in Relation zur Bevölkerung). Die Studien zeigen, dass der Verlauf – etwa der R-Zahl – nicht (mehr) zu beeinflussen war, heben aber nicht deutlich hervor, dass das ursprüngliche Infektionsgeschehen, die erste Ausbreitung, die notwendig noch unterm Radar stattfindet, eben überall äußerst unterschiedlich war. Und so ist dies bisher auch immer bei schweren Grippewellen gewesen, auch hier gab es zwischen den Nationen sowie den Regionen innerhalb einer Nation gravierende Diskrepanzen; wurde in der einen Gegend auffällig gestorben, konnte nur 50 km weiter überhaupt nichts los sein.

Das bedeutet, die Wege der ersten Virenverbreitung sind (bisher jedenfalls) unergründlich. Es lässt sich nicht vorhersagen, nicht begründen und daher auch nicht verhindern, wo es zu und dabei wie vielen gleichzeitigen ersten Outbreaks kommt. Wer daher die einen Regierungen für eine günstige Ausgangslage lobt und die anderen für eine ungünstige kritisiert, unterliegt einem Machbarkeitswahn (gegenüber dem Zufall, Glück oder Pech) und fördert diesen.

Fair zu beurteilen wären die Regierungen einzig und allein daran, wie sie mit der – zumindest weitgehend – unverschuldeten Ausgangslage umgegangen sind. Sofern es etwaige Mängel im Gesundheits- und Pflegewesen sind, welche einige Nationen schon angesichts von Grippewellen wiederkehrend an den Rand des Bewältigbaren treiben, so sind dies zwar kritisierbare selbst verschuldete Versäumnisse, aber langfristige und keine akuten bzw. corona-spezifischen. Umgekehrt wäre es einst ein Rücktrittsgrund für eine Regierung gewesen, wenn das zuerst zusammengesparte Gesundheitssystem nachher nicht mehr mit einer Grippewelle fertig wird, weshalb man Tage der Krankenhausüberlastung vertuscht oder heruntergespielt hätte. Heute dramatisiert der Staat mit Medienunterstützung das eigene Versagen zur Naturkatastrophe, um sich als erfolgreicher Krisenlöser zu inszenieren.

Mythos „Herdenimmunität“

Tegnell selbst kommt von seinem Hinweis auf die Ausgangslage nicht zu einer Kritik des Machbarkeitswahns, weil er von diesem genauso lebt wie beispielsweise Drosten und Wieler. Im zweiten Argument seiner Verteidigung wird dies deutlich. Denn Schweden ist nach Tegnell – als beabsichtigter Nebeneffekt seiner Politik – der sogenannten Herdenimmunität nähergekommen, weshalb es die folgenden Corona-Saisons besser bestehen dürfte als Norwegen, Finnland, Dänemark und Deutschland, welche die Verbreitung des dort ohnehin nicht sehr virulenten Erregers erfolgreich unterbunden (oder das Virus gar vorläufig eingedämmt) hätten.

Dass Schweden vieles richtig gemacht hat, werde sich daher in der Zukunft noch erweisen, in die Schweden selbstbewusst und optimistisch blicken könne, während andere Nationen sich dazu verdammt hätten, im Modus ständigen Herauf- und Herunterfahrens auf einen erlösenden Impfstoff zu warten. Die einen notwendigerweise, weil der Aufbau von Herdenimmunität erfolgreich hintertrieben worden sei: Norwegen, Finnland, Dänemark, Deutschland, Österreich, vielleicht auch Schweiz und Niederlande. Die anderen trotz aufgebauter Herdenimmunität, weil dies unfreiwillig gegen die eigenen, zu spät einsetzenden Maßnahmen geschah und die Gesellschaften Italiens, Spaniens, Frankreichs, Belgiens und UKs von den Corona zugeschriebenen hohen Sterblichkeitsraten von März bis Mai augenscheinlich traumatisiert sind.

Das spricht – von den wertenden Konnotationen abgesehen – die verschiedenen ideologischen Selbstwahrnehmungen Schwedens, Deutschlands und Italiens (als – wie erfolgreich auch immer – „Macher“) in der Sache recht präzise aus, bleibt aber selbst ideologisch, denn über die Folgen einer gewollt wie ungewollt erreichten oder absichtlich verfehlten Herdenimmunität kann sich nur Gedanken machen, wer im Einklang mit seinen Widersachern nach wie vor verleugnet, dass diese überall von Anfang an bereits gegeben war. Noch mal: Dass über 90 Prozent der Infizierten keine oder nur milde bis moderate Symptome haben würden, leugnete niemand. Was aber sind symptomlos Infizierte anderes als eine immune „Herde“, die der Verbreitung des Virus im Weg steht?

Besuchsverbote als Altenschutz

Ein etwaiges Erfordernis außerordentlichen staatlichen Handelns beschränkte sich daher von vornherein auf den vernünftigen Schutz der Zugehörigen der Risikogruppe, die sich vornehmlich in Altersheimen, Krankenhäusern und ambulanter Pflege befinden. Hier nun meinen die Kritiker Tegnells, das Versagen Schwedens daran ablesen zu können, dass es unter dieser Personengruppe auch in Schweden eine hohe Übersterblichkeit gibt und insbesondere der Anteil von Pflegheimbewohnern oder ambulant Betreuten an den „Corona-Toten“ (Altersmedian 84, 89% ü70) mit drei Vierteln skandalös hoch sei. Daraus spreche, Schweden hätte nicht genug „für die Alten getan“, was zum einen meint, dass das Umfeld der Pflegeheime – also die Bevölkerung – wie in Deutschland unter Kuratel zu stellen gewesen wäre, und zum anderen insinuiert, Schweden wäre bei der Abschottung der Pflegeheime zu nachlässig gewesen.  

Tegnells drittes Verteidigungsargument: „Mit der gleichen Strategie, die wir die ganze Zeit hatten, hatten wir in den letzten zwei oder drei Monaten fast keine neuen Fälle in der Altenpflege. Die Zahl der Todesfälle war lange Zeit ebenfalls sehr gering, so dass definitiv kein enger Zusammenhang zwischen der Strategie und der Anzahl der Todesfälle besteht. […] Ich sage nicht, dass es überhaupt keine Verbindung gibt, aber es gibt keine klare Verbindung. Die hohe Sterblichkeitsrate (in Schweden) hängt stark mit unseren Pflegeheimen zusammen, die Schwächen hatten. Nicht alle Pflegeheime, aber an einigen Stellen, die es der Krankheit ermöglichten, Wurzeln zu schlagen und sich auszubreiten. Und wir wissen aus allen Ländern, dass, wenn Sie die Infektion an diesen Orten bekommen, Sie eine hohe Sterblichkeitsrate bekommen, weil diejenigen, die dort leben, am meisten gefährdet sind, an dieser Krankheit zu sterben. […] Natürlich, wenn 5.800 Menschen gestorben sind. Es war definitiv nicht etwas, was wir erwartet, geplant oder erhofft hatten. Es ist also definitiv etwas schiefgelaufen, aber das bedeutet nicht, dass die Strategie selbst falsch war.“

Fragmente dieser Erklärung wurden teilweise als vorbildliche Selbstkritik kolportiert, wiewohl Tegnell für das, was „schiefgelaufen“ ist, eben nicht seine Strategie, sondern die „Schwäche“ der Pflegeheime verantwortlich macht, dort nicht jede Infektion erfolgreich unterbunden zu haben, wie es die Strategie anscheinend vorgesehen hat. Eine angemessene Verteidigung hätte stattdessen auf die Redundanz schon des Vorwurfs hingewiesen, dass die Mehrzahl der Toten einer für eine Risikogruppe gefährlichen Infektion aus eben dieser Gruppe und von Orten, wo diese konzentriert sich aufhält, stammt. Gestorbene Pflegebedürftige als solche können deshalb auch nicht ein plausibles Kriterium zur Beurteilung einer Strategie bilden, sondern, ob und wie weit es ihr gelungen ist, die Sterberate niedrig zu halten bzw. vermeidbare Tode zu verhindern. Erst ist allerdings Tegnell und den Schweden, wie allen anderen Nationen auch, nichts anderes und Besseres zum Infektionsschutz eingefallen, als die Pflegebedürftigen einzumauern – und zwar (im Unterschied zu Deutschland: 6–8 Wochen) für sechs Monate. Danach besteht „Selbstkritik“ allein im Vorwurf an die Heime, die Einmauerung nicht lückenlos und konsequent genug bewerkstelligt zu haben.

Die Fantasielosigkeit und Kaltschnäuzigkeit, mit der Tegnell, seine Anhänger und eben auch Widersacher gleichermaßen über die den angeblich zu schützenden Alten verordnete Lebenswirklichkeit von Entmündigung, Freiheits- und Kontaktentzug sprechen, kommt eben heraus, wenn die Regierungen im Einklang mit ihren Bevölkerungen komplexere und nicht-mathematisierbare soziale, psychologische und gesundheitliche Problemstellungen ausschließlich Epidemiologen (oder gar Labor-Virologen und Tierärzten) überantworten.

Um das Ausmaß des tatsächlichen schwedischen Versagens, das sich in diesem Fall von dem anderer Nationen nicht unterscheidet, zu fassen, braucht man freilich eine Vorstellung davon, wie ein vernünftiger Schutz der Alten und Kranken hätte aussehen müssen. (Ich beziehe mich im unmittelbar Folgenden auf zahlreiche Artikel der Pflegefachkraft Adelheid von Stösser, die seit Anfang März u.a. auf pflege-prisma.de erschienen sind.)

Elemente eines vernünftigen Infektionsschutzes in Pflegeheimen

Stürze und ihre Folgen gehören zu den führenden Verletzungs- und Todesursachen in Pflegeheimen. Die naheliegende Lösung, Pflegebedürftige im Namen des Lebensschutzes in unbeaufsichtigten Zeiträumen gegen ihren Willen im Bett zu fesseln oder ein Babygitter anzubringen, gilt (bisher jedenfalls) Gerichtsurteilen nach als verfassungswidrig, weil unverhältnismäßig. So hat das AG Frankfurt in seinem Urteil vom 29.11.2012 (Az.: 49 XVII 3023/11) klar hervorgehoben, dass rein präventive Maßnahmen, ohne Vorliegen einer konkreten Gefahr, einen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht in keinem Fall rechtfertigen können (ausführlicher dazu: hier). Nach diesem Modell hätten sich alle Maßnahmen zum Schutz „Alter und Schwacher“ vor einer grippeähnlichen Infektionskrankheit ihren Bürger- und Grundrechten unterordnen müssen. Dann wäre es, aufeinander abgestimmt, darum gegangen, das Infektionsrisiko zu minimieren, und – da es sich nicht restlos ausschalten lässt – für den Fall einer Ansteckung dafür Sorge zu tragen, dass das Immunsystem der Betreuten in bestmöglichem Zustand ist.

Zur Minimierung des Ansteckungsrisikos: Über die Einhaltung gewisser Hygiene-Regeln und die entsprechende Schulung von Personal und Angehörigen sowie die Verfügbarkeit ausreichend vorhandenen Hygiene-Materials braucht man nicht lange reden. Das ist (insbesondere jeden Winter) selbstverständlich oder sollte es sein. Die Idee des social distancing bzw. der Kontaktreduktion, die sich zu Besuchs- und Ausgehverboten steigerte, war von vornherein fahrlässig realitätsblind. Erstens sind Pflegeheimbewohner bereits weitgehend vom öffentlichen Leben separiert. Zweitens sind – wie man von den Grippesaisons weiß – nicht Angehörige, sondern Pflege- und Reinigungspersonal die Hauptüberträger. Was die Angehörigen betrifft, hätten Appelle genügt, Pflegeheime mit Erkältungssymptomen nicht zu betreten (obwohl auch das nichts Neues wäre) – und wer es unbedingt restriktiv will, hätte entsprechende Wachen an den Eingängen postieren können, die offensichtlich Erkältete wegschicken.

Was das Pflege- und Reinigungspersonal betrifft, lassen sich die Kontakte nicht minimieren, ohne dass Gesundheit und Pflege darunter leiden würden. Dies ist u.a. der Grund, warum das Ansteckungsrisiko sich kategorisch nicht ausschalten lässt. Das ist ähnlich wie beim Krankenhaus-Paradox, wo man abwägen muss, ob der Nutzen eines Krankenbesuchs oder der eigenen Behandlung das erhöhte Risiko wert ist, sich etwas einzufangen. Dennoch ließe sich, abhängig von menschlichen und finanziellen Ressourcen, einiges zur Minimierung des Infektionsrisikos bewegen: Erkrankte Pfleger und Reinigungskräfte sind umgehend krank zu schreiben und durch Gleichqualifizierte zu ersetzen. Dabei ist dieselbe Pflegerin stets für denselben Personenkreis, entsprechend Reinigungskräfte ausschließlich für bestimmte Flure zuständig. Man tauscht nicht, vertritt sich nicht, arbeitet nicht mal in dieser, mal in jener Etage. So wäre gewährleistet, dass ein möglicher Outbreak bei Übertragung von Pflegebedürftigen auf Pfleger oder umgekehrt personell und räumlich – eben auch innerhalb desselben Gebäudes – begrenzt bleibt und das Infektionsgeschehen nicht aufs komplette Heim übergreift. Stattdessen herrschten Personalmangel und hohe Fluktuation der Pflegekräfte (auch in Schweden).

Zur Stärkung des Immunsystems: Vor Corona war es selbstverständlich, dass, was allen Menschen gut tut, erst recht bei Alter und Erkrankung so weit wie möglich praktiziert werden sollte: regelmäßige Bewegung an der frischen Luft unterm Sonnenlicht, die unbedingte Aufrechterhaltung sozialen Lebens durch Treffen mit Verwandten und der Teilnahme an geselligen Veranstaltungen, sofern die Pflegeheime dies überhaupt bieten. Insbesondere für Demenz- und Alzheimererkrankte sowie unter Depressionen Leidende ist es wichtig, dass tradierte, den Alltag strukturierende Vorgänge nicht plötzlich und unvermittelt außer Kraft gesetzt werden.

Mangelnde Ressourcen und die alleinige Versteifung auf eine Isolationsstrategie als Lebensschutz der Alten und Kranken haben nun aber das genaue Gegenteil bewirkt. Die Besuchsverbote führten vorhersehbar zur Erzeugung und Steigerung bereits vorhandener Depressionen, zu Einsamkeit, Irritation und Desorientierung, was sicher das Immunsystem schwächt und dazu führen kann, dass die betroffenen Menschen ihre Lebenslust und -kraft verlieren und in der Folge „eingehen“. Auch sind Pflegebedürftige regelmäßig ans Trinken zu erinnern, um nicht auszutrocknen. Vielerorts kam es aber wegen Personalmangels aufgrund z.B. von Krankschreibungen bei fehlendem Ersatz dazu, dass Bewohner „sediert“ werden mussten, da ihre Bewegungsfreiheit anders nicht einzuschränken war. Das Nachlassen der Pflegeintensität bei (teils erzwungener) Bettlägerigkeit (teils aus Angst vor Ansteckung und damit zu viel Nähe) hat das Risiko typischer schwerer Erkrankungen wie über Thrombosen vermittelte Lungenembolien erhöht.

Die einfallslose Isolationspolitik und Vernachlässigung haben daher das Risiko eines Corona-Todes in Altenheimen mitnichten gesenkt, vielmehr haben sie die Wahrscheinlichkeit, sowohl jenseits als auch im Zuge einer Corona-Infektion früher zu sterben, als „vorgesehen“ für viele Gebrechliche gesteigert. Und Sterben ist nicht das einzige Leiden, mit dem Sterbende und ihre Verwandten konfrontiert wurden. Wenn in deutschen Pflegeheimen täglich ca. 800 Menschen sterben, dann bedeutet dies, dass über den Zeitraum von acht Wochen Kontaktverbot rund 45.000 Menschen gezwungen waren, den letzten Rest ihres Lebensabends ohne ihre Angehörigen oder sonstige „nicht zwingend nötige“ menschliche Begegnungen zu verbringen.

Der „Corona-Tod“ und die Übersterblichkeit

Wenn seitens des RKI bezogen auf Deutschland von 15.000 bis 30.000 Toten während schwerer Grippewellen die Rede ist, dann sind dies Übersterblichkeitstote, d.h. solche, die in dem Sinne „an“ Influenza gestorben sind, als sie das betreffende Jahr ohne Infektion überlebt hätten. Anders ausgedrückt, wer im Jahr der Epidemie statistisch erwartet ohnehin gestorben wäre, ist aus der Zählung herausgerechnet, auch dann, wenn Influenza bei ihm nachweisbar gewesen wäre. Zweifelsfrei an Corona ist in diesem Sinne gestorben, für den sich andere Todesursachen ausschließen lassen. Nach US-amerikanischer CDC war dies laut Patientenakten bei 6 Prozent aller dort amtlich ausgewiesener „Corona-Toten“ der Fall (Italien: 3,8 Prozent). Bei 94 Prozent lagen durchschnittlich 2,6 Komorbiditäten (Italien: 3 Komorbiditäten im Median) vor – und zwar stets Erkrankungen, die in Europa wie USA zu den Top-10-Todesursachen des Jahres gehören. Nur bei 45 Prozent dieser multimorbid Verstorbenen wurde der kritische Corona-Verlauf einer Lungenentzündung („excluding influenza“) festgestellt. Für weniger als die Hälfte aller „Corona-Toten“ ist dementsprechend Covid-19 als „Underlying Cause of Death“ in den Totenscheinen aller Bundesstaaten und Regionen vermerkt. (Von den übrigen multimorbiden 55 Prozent aller US-amerikanischen „Corona-Toten“ war – Stand 5. Oktober – bei 75 Prozent „influenza & pneumonia“ eine der Nebenerkrankungen.) Patientenakten sind überdies ungenauer als Obduktionen. In Deutschland stellte Rechtsmediziner Püschel bei der Sezierung aller Hamburger „Corona-Toten“ immer wieder fest, dass kein Einziger ohne Vorerkrankungen war, und ausnahmslos alle „in absehbarer Zeit“ auch ohne Corona-Infektion gestorben wären.

Nehmen wir einmal an, von den amtlichen rund 10.000 „Corona-Toten“ in Deutschland kämen nur 0 Prozent, 6 Prozent oder 45 Prozent als corona-assoziierte Übersterblichkeitstote infrage, dann wären Null, 600 oder 4.500 von allen Übersterblichkeitstoten des ersten Halbjahres 2020 in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Corona-Infektion gestorben. Bedenkt man, dass es in Deutschland im betreffenden Zeitraum gar keine Übersterblichkeit gab (sondern eher 1.566 Gestorbene weniger als üblich), wäre es hochgegriffen, im Sinne einer ersten Problemannäherung davon auszugehen, dass max. 15 Prozent der von Staats wegen behaupteten „Corona-Toten“ tatsächlich welche sind, was die Letalitätsrate von 0,1 bis 0,3 noch einmal drastisch senkt. (Der Zähler wird kleiner, nachdem bereits der Nenner durch den per Antikörper-Nachweis getätigten Rekurs auf die tatsächliche Infizierten-Anzahl gewachsen war.) Es wäre der probehalber angenommene Richtwert von 15 Prozent übrigens auch hochgegriffen gegenüber den damaligen nationalen Datensätzen, welche den Präsidenten der Italienischen Gesundheitsbehörde auf einer Pressekonferenz vom 13. März zur unmissverständlichen Klarstellung bewogen, dass die „überwiegende Mehrheit“ der offiziell publizierten „Corona-Toten“ Italiens „nicht an Covid-19“ stirbt, was auch die entsprechenden Datensätze vom Oktober wiederholt bestätigen.

Nun haben alle Nationen ihre offiziellen „Corona-Toten“ so großzügig zusammengerechnet und damit horrend überzählt wie Deutschland, USA, Italien, jedoch verzeichnen einige im Unterschied zu Deutschland auffällige Übersterblichkeiten. Auch wenn diese die Größenordnung schwerer Grippewellen nicht dramatisch übersteigen, entsteht so vielerorts, wenn man nur 15 Prozent der behaupteten „Corona-Toten“ als solche gelten ließe, eine erklärungsbedürftige Differenz zur Gesamtübersterblichkeit. Diese betrüge in Schweden (rund 10 Millionen Einwohner) bei 750 „tatsächlichen“ Corona-Toten statt 5.000 „offiziellen“ Corona-Toten (bis 30. Juni) und 4.000 Übersterblichkeitstoten 3.250. In England & Wales (rund 60 Millionen Einwohner) ergäbe – Stand 18. September 2020 nach Daten des ONS – die Differenz aus 7.895 „echten“ statt 52.631 „offiziellen“ Corona-Toten und 53.633 Übersterblichkeitstoten einen Wert von 45.738. Und das wären, sollte man nicht eine schwere Influenza-Welle übersehen haben, maßnahmen- und panikassoziiert Gestorbene, die man in Folge der vorangegangenen Grippewellen wenigstens nicht zu beklagen hatte. Denn abgesehen von der Corona-Politik selber gab es kein weiteres herausragendes Ereignis mit Übersterblichkeitspotential (etwa Erdbeben, Tsunami oder Hurricane) im fraglichen Zeitraum.

Größerer Schaden als Nutzen

Nicht alle im Folgenden als belegt gelisteten Hinweise auf maßnahmen- und panikverursachte Übersterblichkeiten unter den Ü65-Jährigen während der Corona-Monate mögen auf Schweden überhaupt oder im gleichen Umfang wie bei anderen Nationen zutreffen – es gibt dazu bisher kein Material –; auf diese Aspekte hin kritisch zu befragen, wäre aber auch der schwedische „Umgang mit den Alten“ allemal.

Nachlassen der Pflegeintensität: Weltweit haben die Isolationspolitik und der Personalmangel in Altenheimen dazu beigetragen, das Immunsystem der Bewohner zu schwächen. Für Kanada, Italien und Spanien wurde sogar von Pflegeheimen berichtet, deren Bewohner dehydriert und (fast) verdurstet waren, nachdem sie infolge eines aus Panik vor Corona flüchtenden Personals tagelang sich selbst überlassen blieben (z.B. hier). Das mögen nur die vereinzelten Extrembeispiele einer allerdings systematischen Schlechterbehandlung von Pflegebedürftigen während der Corona-Zeit sein.

Vernachlässigung anderer Erkrankungen: Zum einen haben Krankenhäuser zahllose OPs und Vorsorgeuntersuchungen abgesagt oder verschoben, um Betten für den befürchteten Ansturm von Corona-Patienten freizuhalten. Zum anderen haben sich viele verängstigte auch alte Menschen aus Angst vor einer Ansteckung oder wegen der Ausgangssperre nicht mehr zwecks Vorsorge, Kontrolluntersuchungen oder bei akuten Beschwerden zum Arzt gewagt. Diese weltweite Praxis (vgl. Achgut zum „Corona-Papier“) wurde in UK frühzeitig als mögliche Ursache für „the rise of non-Covid deaths“ diskutiert.

Beide Punkte verdichten sich in jener Meldung über eine Zunahme von „non-Covid deaths“ in den USA zwischen dem 1. März und dem 25. April: „Tatsächlich ist es in dieser Zeit in den fünf am meisten betroffenen Bundesstaaten zu einem Anstieg der Todesfälle an Herzerkrankungen um 89 Prozent und an Schlaganfällen um 35 Prozent gekommen. In der Stadt New York betrug der Anstieg der Sterblichkeitsrate bei Herzerkrankungen sogar 398 Prozent. Ein Diabetes wurde zu 356 Prozent häufiger als Todesursache genannt.“

Fragwürdige Behörden-Entscheidungen: Die Krankenhäuser zu entlasten, indem man infizierte Senioren ausgerechnet in Altersheime verlegte (z.B. New York, New Jersey, Michigan, Lombardei und UK), war – vorhersehbar – keine gute Idee, um das Infektionsniveau und die Sterblichkeit in der Hauptrisikogruppe gering zu halten (vgl. hier und hier). Über ein derartiges Verfahren in Deutschland oder Schweden hat der Autor nichts gefunden.

Medizinische Fehlbehandlung: Tatsächliche oder (soweit allein PCR-Test basiert) vermeintliche Corona-Patienten wurde insbesondere in der panischen Anfangsphase häufig fehlbehandelt. Dazu gehört die (in teils toxischer Überdosierung) vorgenommene Verabreichung des klassischen Sterbehilfe- und Anti-Malaria-Medikaments Hydroxychloroquin mit seinen immunsuppressiven (nicht Nebenwirkungen, sondern) Eigenschaften, teilweise selbst bei Kontraindikationen wie Herzkreislauferkrankungen und Favismus (G6PD-Mangel) – jenseits (d.h.: legalisierter emergency use vor Zulassung) und im Rahmen von Studien mit zehntausenden Teilnehmern. Der Hydroxychloroquin-Arm der großen im März begonnenen, maßgeblich von UK getragenen Recovery-Studie wurde erst Anfang Juni wegen erhöhter Sterblichkeit der Probanden abgebrochen (hier und hier). Auch der Hydroxychloroquin-Arm der SOLIDARITY-Studie wurde laut WHO im Juni zum zweiten Mal aus demselben Grund gestoppt. In Schweden ist das Medikament außerhalb von Studien schon im April wahrscheinlich nicht mehr zur Anwendung gekommen. In Deutschland wurde Hydroxychloroquin vergleichsweise zurückhaltend eingesetzt.

Zur systematischen Fehlbehandlung gehört ebenfalls die als solche von vielen Ärzten (z.B. in Italien und New York) eingestandene verfrühte, zu druckreiche und zu lange Intubation alter und geschwächter Menschen, wie sie die ersten Wochen lang praktiziert wurde, was weltweit tausende vermeidbare Tote kostete. „Alarmierende Zahlen“ auch aus Großbritannien. Den Schweden dagegen wurde es als altenfeindliche Selektion ausgelegt, Menschen ab 80 nicht oder seltener intensivmedizinisch zu behandeln bzw. zu intubieren. In Deutschland haben viele intubationskritische Ärzte von Anfang an mehr auf die nicht-invasive Beatmung (NIV) gesetzt. (Ausführlicheres zum Thema medizinischer Fehlbehandlungen im Zuge der Corona-Panik: hier.)

Eine traurige Bilanz

Aus der Vogelperspektive betrachtet, hat es (statistisch, bevölkerungs- und gesundheitspolitisch) nirgends eine „Epidemie nationaler Tragweite“ gegeben. Der Maßstab muss freilich kein „Massensterben“ a’la Pest oder auch nur der Spanischen Grippe sein, die Gefährdung der Bevölkerung sollte die einer gewöhnlichen schweren Grippewelle aber doch wohl deutlich in den Schatten stellen, um von einer „Epidemie nationaler Tragweite“ zu sprechen.

Nun sterben unabhängig von schweren Grippewellen in den westlichen Industrienationen jedes Jahr um die 1 Prozent der Bevölkerung, in manchen mehr, in manchen weniger. Innerhalb des Westens werden die Unterschiede weniger durch ein verschiedenes Niveau der Gesundheitssysteme oder des jeweiligen gesellschaftlichen Reichtums als vielmehr von der Altersstruktur beeinflusst. Platt gesagt, senken viele Geburten den Sterblichkeitswert, während weniger Geburten ihn erhöhen.

Auf Basis der Daten des Bundesamts für Statistik und Human Mortality Database, einem gemeinsamen Projekt des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung und der University of California in Berkeley, sind im ersten Halbjahr (1. Januar bis 30. Juni) mit schweren Grippewellen und einer entsprechenden Übersterblichkeit in Deutschland 2017 0,59 und 2018 0,60 Prozent der Bevölkerung gestorben. 2020 ohne Übersterblichkeit 0,58 Prozent. Österreich liegt – ebenfalls ohne Übersterblichkeit – im ersten Halbjahr 2020 bei 0,48 Prozent. Für Nationen, die dieses Jahr grippeähnliche Übersterblichkeiten verzeichnen, sehen die Werte, soweit ermittelbar, so aus: Großbritannien: 0,55 Prozent, Niederlande: 0,50 Prozent, Portugal: 0,59 Prozent, Spanien: 0,56 Prozent, USA: 0,48 Prozent und Schweden: 0,48 Prozent (siehe dazu auch: hier). Katastrophale Epidemien schlagen sich bevölkerungsstatistisch anders nieder.

Für Deutschland beträgt die Differenz zwischen keiner Übersterblichkeit (2020) und einer grippe-assoziierten 0,01 (zu 2017) bis 0,02 (zu 2018) und zwischen zwei unterschiedlich schweren Grippe-Halbjahren (2017 und 2018) 0,01. Um genau diesen Betrag war die europäische Übersterblichkeit (betreffend die am Euromomo-Projekt teilnehmenden Länder mit einer Gesamtpopulation von rund 360 Millionen) während der Corona-Monate (ca. 180.000 Excess-Deaths) höher als im Zuge der Grippesaison 2017/18 (ca. 140.000 Excess-Deaths). 

Zwar stimmt es, dass jedes Leben zählt und (gleich viel) Gewicht hat, aber vor dem Hintergrund der prinzipiellen Sterblichkeit des Menschen zählen beispielsweise 0,01 Prozent (d.h. 40.000 Menschen) mehr oder weniger trotz „normaler“ oder halbwegs vernünftiger Gesundheitspolitik an einer Infektionskrankheit Gestorbene moralisch und juristisch anders als die Opfer einer direkten oder indirekten fahrlässigen Tötung in der Folge politischer Fehlentscheidungen und damit zusammenhängend medizinischer Falschbehandlungen und Übertherapien.

Während sich im Großen nicht belegen lässt, dass die Anti-Corona-Maßnahmen eine virenassoziierte (Über-)Sterblichkeit abgemildert hätten, so sind in ihrem Zuge auf der Ebene der Einzelschicksale doch viele Menschen mit oder ohne Infektion gestorben, die nicht gestoben wären, hätte es einen vernünftigen oder statt eines kontraproduktiven wenigstens gar keinen gesonderten Schutz der Alten und Schwachen gegeben. Aber selbst wenn die Bilanz der Lebensrettung – was äußert zweifelhaft ist – eine positive wäre, dank der Maßnahmen immerhin im Promillebereich also insgesamt tatsächlich weniger hochbetagte und zugleich vorerkrankte Menschen gestorben wären, stellte sich immer noch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, über alle Bewohner von Pflegeheimen, also Menschen, die durchschnittlich binnen zwei Jahren nach „Einlieferung“ sterben, ein menschenrechtsverletzendes mehrmonatiges Regime der Isolation und Überwachung verhängt zu haben.

Das Argument der Maßnahmen-Kritiker war nie, dass Altenschutz nicht lohnt, weil diese Menschen eh sterben. Im Gegenteil: Weil sie eh sterben, ist die Frage der Dauer und Radikalität des gesundheitsschädigenden und Lebensqualität raubenden Ausnahmezustands bei ihnen noch dramatischer als bei der Mehrheitsbevölkerung. Hier war der Ansatz der schwedischen Strategie moralisch und juristisch so fragwürdig wie der aller anderen westlichen Nationen. Zugutezuhalten bleibt Schweden, dass der epidemiologisch völlig unnötige Angriff auf die Freiheitsrechte und die wirtschaftlichen Existenzen der Normalbevölkerung in der radikalen Form unterlassen wurde, die in nahezu allen anderen bürgerlichen Demokratien einen eklatanten Bruch mit den eigenen zivilisatorischen Kodizes darstellt.

Da es weder kritischen Journalisten noch demonstrierenden Bürgern noch den Anträgen von AfD und FDP im Sommer gelungen ist, das Parlament zur Beendigung der „epidemischen Lage nationaler Tragweite“ zu bewegen, ist für den Winter, da reale Atemwegserkrankungen und entsprechende Tode wie immer wieder zunehmen werden, mit weiteren Restriktionen zu rechnen.